Arbeitsproduktivität und die Kunst, Arbeit und Kapital zu horten

Es ist Krise und immer, wenn Krise ist, ist die Kurzarbeit nicht weit. In der Finanzkrise als eine der Wunderwaffen des deutschen Arbeitsmarktes gefeiert, stellt die Nutzung der Kurzarbeit seit Beginn der Corona-Krise alle bisher dagewesenen Größenordnungen in den Schatten. Das liegt zum einen am ungewöhnlich starken Ausmaß der Krise, zum anderen an der breiteren Nutzung. So wird Kurzarbeit in dieser Krise jenseits der traditionell großen Verbreitung im verarbeitenden Gewerbe stark in anderen Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Handel eingesetzt (vgl. Link und Sauer 2020). Es stellt sich die Frage, ob die von Hubertus Heil als „stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal“ bezeichnete Kurzarbeit auch in dieser Krise ihrem Ruf als Wunderwaffe gerecht werden kann. Und wie so oft lautet die Antwort: Es hängt davon ab.

Aus ökonomischer Sicht ist Kurzarbeit nicht immer uneingeschränkt zu empfehlen, einem volkswirtschaftlichen Nutzen der Kurzarbeit stehen entsprechende Kosten entgegen, die es abzuwägen gilt. Hierbei lohnt sich ein Blick auf den Zusammenhang zwischen Kurzarbeit und Arbeitsproduktivität.

Kurzarbeit und Arbeitsproduktivität

Die Entwicklung der Produktivität von Arbeit, also der Wertschöpfung pro Arbeitnehmer oder pro Arbeitsstunde, ist ein wichtiger Indikator für wirtschaftliche Entwicklung, Wohlstand und einen hohen Lebensstandard. Die Einflussfaktoren der Arbeitsproduktivität zu bestimmen und somit politische Maßnahmen zum Erhalt und der Weiterentwicklung dieser zu bewerten, ist ein echter Dauerbrenner unter den ökonomischen Forschungsfeldern mit aktuell immer noch vielen offenen Fragen. Empirisch gut dokumentiert ist zum Beispiel der positive Einfluss von Humankapital (vgl. Acemoglu 2008, Kapitel 3). Neuere Forschung zeigt, inwieweit das Zusammenspiel von Arbeit und Kapital eine Rolle für Produktivität und ökonomisches Wachstum spielt. So können fehlallokierte Ressourcen die Ausschöpfung von Wachstumspotential verhindern; Kapital und Arbeit werden also nicht an der bestmöglichen Stelle zusammengebracht (vgl. Hsieh und Klenow 2009).

Kurzarbeit setzt zunächst die Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit in Betrieben oder Betriebsteilen aufgrund von wirtschaftlichen Ursachen oder unabwendbaren Ereignissen verkürzen dürfen. Das Kurzarbeitergeld kompensiert dann, zumindest teilweise, den Lohn der ausgefallenen Arbeitsstunden. Da Arbeitszeitkürzungen finanziell nicht vollständig aufgefangen werden, ist die Zustimmung des Betriebsrates bei der Antragstellung nötig. Die Unternehmen beteiligen sich in der Regel finanziell an den entstehenden Kosten, z.B. durch Fortzahlung der Sozialversicherungsbeiträge für die reguläre Arbeitszeit. Arbeitnehmer verbleiben so im Unternehmen, das sie unter Umständen durch die Krisensituation hätten verlassen müssen. Da Kurzarbeit in einer Situation eingesetzt wird, in der Output zurückgeht, während Arbeitskräfte im Unternehmen gehalten werden, sinkt die Arbeitsproduktivität pro Arbeitnehmer mehr als in vergleichbaren Situationen ohne Kurzarbeit.

Wann ist Kurzarbeit effektiv?

Dieses tiefe Tal der Arbeitsproduktivität versinnbildlicht die volkswirtschaftlichen Kosten der Kurzarbeit. Diese müssen zunächst als Opportunitätskosten verstanden werden, die dann entstehen, wenn Arbeit und Kapital an anderer Stelle besser, also produktiver, eingesetzt werden könnten, wobei die Kosten der Bewegung von Arbeit und Kapital berücksichtigt werden müssen (vgl. Cooper, Meyer und Schott 2017). Das erklärte Ziel der Kurzarbeit ist gerade diese unproduktive Hortung von Arbeit und Kapital mit dem Zweck der Erhaltung des Produktionspotenzials, d.h. der schnellen Einsatzbereitschaft von Arbeit und Kapital aus der Krise heraus. Ziel ist also vor allem ein rascher Anstieg der Produktivität aus der Krise heraus auf das vorherige Niveau. Dies ist dann gewährleistet, wenn Arbeit und Kapital eingespielt bleiben, wenn also während der Kurzarbeit auf einem niedrigeren Niveau weiter produziert wird oder die Nutzungsdauer der Kurzarbeit sehr kurz ist. Je größer die Kosten der Wiederaufnahme der Produktionstätigkeit, desto sinnvoller ist es, Arbeitnehmer im Betrieb zu halten.

Aus ökonomischer Sicht sollte Arbeit so lange gehortet werden, wie der Barwert ihres Zusammenspiels mit dem zugehörigen Kapital positiv bleibt. Das ist an sich unternehmerisch sinnvoll und bedarf nicht notwendigerweise einer staatlichen Subvention. Diese kann aber hilfreich sein, wenn die Hortung ökonomisch sinnvoll ist, aber zum Beispiel aus finanziellen Gründen nicht von den Unternehmen getragen werden kann. Entscheidend ist daher die Länge der Krise, wenn also das zu überschreitende wirtschaftliche Tal womöglich tief, aber nicht sehr breit ist. Dies war in der Finanzkrise  der Fall. Es existiert empirische Evidenz, dass Kurzarbeit neben anderen arbeitspolitischen Maßnahmen wie Lohnzurückhaltung, Arbeitszeitkonten oder Hartz-Reformen zumindest teilweise dazu beigetragen haben, dieses Tal zu überschreiten (vgl. Balleer, Gehrke, Lechthale und Merkl 2016). Hierbei ist zu bemerken, dass Kurzarbeit neben der Erhaltung des Produktionspotenzials das Arbeitseinkommen stabilisiert und somit ökonomische Unsicherheit abbaut, was den Weg aus der Krise zusätzlich beschleunigt.

Ist diese Krise anders?

Entscheidend ist aber auch, ob sich das gehortete Produktionspotenzial in der Krise nicht allzu stark verändert. Dies passiert, wenn Humankapital verloren geht. Dies passiert aber auch, wenn technologischer Fortschritt oder Veränderungen der aggregierten Nachfrage strukturelle Verschiebungen bewirken. Dann befinden sich gehortete Arbeit und Kapital möglicherweise nicht mehr an der bestmöglichen Stelle, der Barwert ihres Zusammenspiels sinkt. Bildlich gesprochen ist das wirtschaftliche Tal dann nicht nur breit, man sieht auch die andere Seite nicht sehr deutlich, was das Brückenbauen erschwert. Der Anstieg der Kurzarbeit vor der Corona-Krise vor allem im verarbeitenden Gewerbe legt nahe, dass strukturelle Verschiebungen stattfinden. Die Nutzung von Kurzarbeit in diesem Zusammenhang wurde vor der Krise kontrovers diskutiert (vgl. Balleer, Gehrke, Hochmuth und Merkl 2016). Es existiert bisher insgesamt wenig Erfahrung und so gut wie keine empirische Evidenz für Erfolg oder Misserfolg von Kurzarbeit bei strukturellen Verschiebungen.

Folgt man der Logik der Arbeitsproduktivität, muss man strukturell eingesetzte Kurzarbeit daran messen, wie gut es gelingt, Arbeit und zugehöriges Kapital nicht nur zu horten, sondern das Produktionspotenzial mit Sicht auf zugrundeliegende wirtschaftliche Veränderungen zu erhalten. Der Vorschlag, im Rahmen einer „Kurzarbeit plus“ dem Abbau von Humankapital in Form von Weiterbildung entgegenzuwirken, geht einen Schritt in diese Richtung. Allerdings ist die zentrale Idee der Kurzarbeit, die Kosten der Bewegung von Arbeit und Kapital zu sparen. Soll Arbeit im Rahmen der Kurzarbeit auch nach der Maßnahme im Unternehmen verbleiben, so muss ihre Aufwertung, bzw. Neuausrichtung vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels in den betroffenen Unternehmen selbst passieren. Es hängt dann viel davon ab, ob dies den Unternehmen gelingt. Und ob es den bestehenden Unternehmen besser gelingt als an anderer Stelle.

Eine Neuausrichtung der Produktionsfaktoren im strukturellen Wandel ist an sich unternehmerisch sinnvoll und es bedarf auch hier nicht notwendigerweise einer staatlichen Subvention. Anders als im konjunkturellen Fall ist es bei struktureller Kurzarbeit schwieriger, über Bedingungen für den Zugang zur Maßnahme nachzudenken. Im ersten Fall begrenzen Bezugszeit, Kontrolle des Betriebsrates oder auch Prüfungen der Begründungen für den Antrag, wie z.B. vorübergehende Auftragseinbrüche, die Maßnahme. Im zweiten Fall bedürfte eine staatliche Zuwendung einer zusätzlichen Prüfung des Weiterbildungs- bzw. Neuausrichtungskonzeptes. Strukturell eingesetzte Kurzarbeit kann sinnvoll sein, stellt in der Umsetzung allerdings einen großen Vertrauenszuschuss in das Innovationspotenzial eines beantragenden Unternehmens dar. Es bleibt abzuwarten, ob das gelingt.

Quellen

Acemoglu, Daron (2008): Introduction to Modern Economic Growth, Princeton University Press.

Balleer, Almut, Britta Gehrke, Brigitte Hochmuth und Christian Merkl (2019). Mit Kurzarbeit erfolgreich durch die nächste Rezession? Ifo Schnelldienst, 72, 18, 13-15.

Balleer, Almut, Britta Gehrke, Wolfgang Lechthaler und Christian Merkl (2016). Does Short-Time Work Save Jobs: A Business Cycle Analysis? European Economic Review, 84, 99-122.

Boeri, Tito und Herbert Brücker (2011): Short-time work benefits revisited: some lessons from the Great Recession. Economic Policy, October 2011, S.697-765.

Cooper, Russell, Moritz Meyer und Immo Schott (2017): The Employment and Productivity Effects of Short-Time Work in Germany. NBER Working Paper, No. 23688.

Gehrke, Britta und Brigitte Hochmuth (2019). Counteracting Unemployment in Crises: Non-linear Effects of Short-Time Work Policy. Scandinavian Journal of Economics, im Erscheinen.

Hsieh, Chang-Tai, Erik Hurst, Charles Jones und Peter Klenow (2019): The Allocation of Talent and U.S. Economic Growth, Econometrica, 87, September, 1439-1474.

Hsieh, Chang-Tai und Peter Klenow (2009): Misallocation and Manufacturing TFP in China and India, Quarterly Journal of Economics, 129, November, 1403-1448.

Link, Sebastian und Stefan Sauer (2020): Umfang der Kurzarbeit steigt in der Coronakrise auf historischen Höchststand, ifo Schnelldienst, 73, 7, 63-67.

Link, Sebastian und Timo Wollmershäuser (2019): Zur Bedeutung der Kurzarbeit als wirtschaftspolitisches Instrument in Deutschland, ifo Schnelldienst, 72, 18, 21-23.



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