Das Pariser Klimaschutzabkommen und seine Wirkung: Wie wichtig ist die Teilnahme einzelner Staaten?

Prof. Dr. Mario LarchUniversität Bayreuth

Prof. Dr. Joschka WannerUniversität Potsdam

Das Pariser Klimaschutzabkommen steht im Mittelpunkt der aktuellen multilateralen Klimapolitik. Anders als sein Vorgängerabkommen, das Kyotoprotokoll, verlangt „Paris” von allen Mitgliedsländern, sich auf verbindliche nationale Emissionsreduktionsziele festzulegen.

Das Kyotoprotokoll wurde vielfach dafür kritisiert, dass es womöglich in erster Linie CO2-Emissionen aus den sogenannten Annex I-Ländern mit bindenden Reduktionszielen in andere Länder ohne entsprechende Verpflichtungen verschoben hat, und weniger die globalen Emissionen tatsächlich gesenkt hat.

Das Phänomen, dass Klimapolitik in einem Land oder einer Gruppe von Ländern zu steigenden Emissionen in anderen Ländern führen kann, ist als Carbon Leakage bekannt und stellt ein zentrales Hindernis für die Wirksamkeit unilateraler (oder anderer Formen nicht-globaler) Klimapolitik dar.

Unilaterale Austritte aus dem Klimaschutzabkommen

Die globale Abdeckung des Pariser Abkommens wurde daher als großer Schritt nach vorne angesehen und trug sicherlich zu dessen teilweise euphorischen Beurteilung bei. Beispielsweise sagte der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Inkrafttreten des Abkommens im November 2016, dieses habe eine neue Ära für die globale Kooperation beim Klimawandel eingeleitet.

Nur Monate später allerdings stellten ausgerechnet die USA und somit die weltgrößte Volkswirtschaft und der zweitgrößte Emittent von CO2 die globale Abdeckung schon wieder in Frage, indem der damalige Präsident Donald Trump den einseitigen Austritt der USA aus dem Abkommen verkündete.

In einem aktuellen Forschungspapier gehen wir der Frage nach, was die Auswirkungen solcher unilateraler Austritte sind. Wie stark wird die Effektivität des Abkommens beschädigt? Und der Austritt welcher Länder würde besonders großen Schaden anrichten?

Effekte von einseitigen Austritten

Ein einseitiger Austritt eines Landes aus dem Pariser Abkommen wirkt sich auf verschiedene Arten auf die globalen CO2-Emissionen aus.

Zunächst einmal schrumpft die Summe der versprochenen Emissionsreduktionen. Wenn alle Länder ihre Versprechen einhalten, die sie in den sogenannten „nationally determined contributions“ (NDCs) angegeben haben, sinken die Emissionen um geschätzte 25,4 Prozent unter das Niveau, das sich in einem „Business-as-usual“ (BAU) Szenario bis 2030 einstellen würde.

Wenn sich nun beispielsweise die USA nicht länger an ihr NDC gebunden fühlen, fällt die globale Emissionsreduktion auf 17,3 Prozent und folglich um 31,8 Prozent kleiner aus. Dieser direkte Effekt einseitiger Austritte aus dem Abkommen ist mit großem Abstand am stärksten, wenn ausgerechnet die USA aus „Paris“ austreten. Das liegt daran, dass die USA ein sehr hohes Emissionslevel (globale Nr. 2 hinter China) mit einem ambitionierten Reduktionsziel von 47 Prozent im Vergleich zum BAU-Szenario verbinden.

Den zweitgrößten direkten Effekt auf die globalen Emissionen hätte ein chinesischer Austritt, welcher die globale Reduktion um 11,9 Prozent verringern würde. Während China der weltweit größte CO2-Emittent ist, hat es sich auf ein weniger ambitioniertes Ziel einer 11,3 Prozent Reduktion festgelegt und der Verlust dieses Ziels würde entsprechend weniger stark ins Gewicht fallen.

Abbildung 1 zeigt für alle Länder, welcher Teil der globalen Emissionsminderung unmittelbar durch die Streichung der in den NDCs festgelegten Reduktionsziele verloren ginge. Während die USA und China die Liste klar anführen, hat auch der Verlust der Reduktionsziele anderer Länder immer noch sehr spürbare Auswirkungen auf die globale Emissionsminderung, beispielsweise im Falle eines japanischen, kanadischen oder brasilianischen Austritts – mit globalen Reduktionsverlusten von 5,6 , 4,1und 3,8 Prozent.

Abbildung 1: Direkter Verlust der globalen Emissionsminderungen durch einseitige Austritte aus dem Pariser Abkommen

Anreize für höhere Emissionen

Der Schaden, den einseitige Austritte aus dem Abkommen anrichten, endet aber nicht beim bis hierhin betrachteten direkten Effekt durch die verlorenen Reduktionsziele. Vielmehr haben Länder, die „Paris“ verlassen, Anreize ihre Emissionen über das BAU-Niveau hinaus zu steigern. Diese Anreize resultieren aus zwei Effekten.

  1. Zum einen gewinnen diese Länder in emissionsintensiven Industrien an Wettbewerbsfähigkeit, wenn diese Industrien in anderen Ländern zusätzlichen Kosten durch Klimapolitik, beispielsweise in Form einer CO2-Steuer, ausgesetzt sind, während sich die entsprechenden Industrien im ausgetretenen Land keiner solchen verschärften Klimapolitik gegenüber sehen. Nach einem Austritt aus dem Abkommen werden sich diese Länder also verstärkt in emissionsintensive Industrien spezialisieren und entsprechend mehr CO2 ausstoßen.
  2. Zum anderen wirkt sich die internationale Klimapolitik auf den internationalen Energiemarkt aus. Wenn die meisten Länder der Welt ihre Emissionen entsprechend ihrer NDCs senken, geht das mit einer geringeren Nachfrage nach fossilen Brennstoffen einher. Diese geringere Nachfrage drückt den Preis für fossile Brennstoffe. Länder, die sich nicht länger an ihre Reduktionsziele gebunden fühlen, werden auf den niedrigeren Preis reagieren, indem sie mehr fossile Brennstoffe nachfragen, was ihre Emissionen zusätzlich steigert. Die höheren Emissionen in ausgetretenen Ländern werden also zusätzlich einen Teil der Einsparungen, die in den verblieben Paris-Mitgliedsländern noch erreicht werden, zunichte machen. Austritte aus dem Abkommen bringen damit für das Pariser Abkommen die Carbon Leakage Problematik zurück, die bereits das Kyoto Protokoll geschwächt hatte und die durch die globale Abdeckung hätte vermieden werden sollen.

Wie groß sind die Leakage Effekte durch einseitige Austritte?

Die USA beispielsweise folgen im simulierten Fall ihres Austritts nicht ihrem BAU-Emissionspfad, sondern steigern ihre Emissionen aufgrund der veränderten Wettbewerbsfähigkeit und der niedrigeren Preise für fossile Brennstoffe um 9.5 Prozent.

Von den 17,3 Prozent globaler Reduktionsminderung, die nach dem Abzug des US-Reduktionsziel übrig geblieben waren, gehen dadurch weitere 9,4 % verloren. Dieser durch Carbon Leakage verlorene Anteil der Emissionsminderung bezeichnet man auch als Leakage-Rate.

Noch stärker als für die USA ist der Leakage-Effekt im Fall eines chinesischen Austritts. Hier beträgt die Leakage-Rate 13,8 Prozent, das heißt deutlich mehr als jede zehnte Tonne CO2, die in den verbliebenen Mitgliedsländern eingespart wird, wird stattdessen zusätzlich in China emittiert.

Abbildung 2: Leakage-Raten im Fall einseitiger Austritte aus dem Pariser Abkommen

Abbildung 2 zeigt für jedes Land die simulierte Leakage-Rate, wenn das jeweilige Land unilateral aus dem Pariser Abkommen austritt. Aufgrund ihrer Rolle als weltgrößte Emittenten führen die USA und China auch hier wieder die Effekte an. An dritter und vierter Stelle folgen Indien und Russland mit Leakage-Raten von 4,0 und 3,1 Prozent. Aufgrund ihrer weniger ambitionierten in ihren NDCs festgehaltenen Reduktionsziele hatten diese beiden Länder in der Betrachtung des direkten Effekts in Abbildung 1 eine weniger prominente Rolle gespielt.

Leakage Effekte am Beispiel verschiedener Länder

Insbesondere der indische Fall unterstreicht die Bedeutung der Berücksichtigung des indirekten Effekts über Carbon Leakage: das indische NDC geht nicht über ein Versprechen hinaus, nicht mehr CO2 zu emittieren als ohnehin in einem BAU-Szenario angenommen. Der Verlust eines solchen „Nullziels“ hat in der auschließlichen Betrachtung des direkten Effekts keinerlei Auswirkungen auf die globale Reduktionsminderung.

Ein Blick auf die Leakage-Raten unterstreicht jedoch, dass ein indischer Austritt aus dem Abkommen dennoch sehr problematisch wäre, weil er die indischen Emissionen über das BAU-Niveau treiben und damit Teile der Anstrengungen der anderen Länder zunichte machen würde.

Um in der Gesamtheit zu beurteilen, wie schädlich der einseitige Austritt eines Landes aus dem Pariser Abkommen für die globalen Emissionen wäre, müssen der direkte Effekt aus dem NDC-Verlust und der indirekte Lekage-Effekt zusammengefasst werden.

Für den US-Austritt steigert die Berücksichtigung von Carbon Leakage die globale Reduktionsminderung auf insgesamt 38,2 Prozent. Der von Donald Trump angekündigte und inzwischen durch Joe Biden zurückgenommene US-Austritt hätte sich insgesamt also verheerend auf die Wirksamkeit des Pariser Abkommens ausgewirkt. Im chinesischen Fall ist die Berücksichtigung von Carbon Leakage noch bedeutender: der Gesamteffekt liegt bei einer Minderung um 24,1 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie der in Abbildung 1 abgebildete direkte Effekt.

Leakage Effekte für alle Länder

Abbildung 3 stellt für alle Länder den Gesamteffekt ihres unilateralen Rückzugs aus dem Pariser Abkommen auf die globale Emissionsminderung dar. Auf die beiden Worst-Case-Szenarien des US- oder chinesischen Austritts folgen einige europäische Länder (Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien), weitere große Industrienationen (Japan, Kanada und Südkorea), sowie drei der vier verbliebenen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland und Indien).

Abbildung 3: Gesamtverlust der globalen Emissionsminderungen durch einseitige Austritte aus dem Pariser Abkommen

Für all diese Länder gilt, dass ihr unilateraler Austritt die Wirksamkeit des Abkommens signifikant schwächen würde, in allen Fällen in einem Bereich von 2,9 bis 7,6 %. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse also die Bedeutung globaler Kooperation für wirksame internationale Klimapolitik.

Das vollständige Forschungspapier, “The Consequences of Unilateral Withdrawals from the Paris Agreement”, wurde im November 2022 als Kiel Working Paper veröffentlicht.


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