Die Zukunft der Kohäsion: Digitale und grüne Transformation fordern Europas Zusammenhalt heraus

Dr. Thomas SchwabBertelsmann Stiftung

Der Abbau des Wohlstandsgefälles zwischen Europas Regionen ist ein zentrales Ziel der Europäischen Union. Der digitale und grüne Wandel verändert die europäische Wirtschaft grundlegend. Wie gut sind die europäischen Regionen aufgestellt, um diesen Wandel zu meistern? Und welche Auswirkungen hat die doppelte Transformation auf den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa?

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass der digitale und grüne Wandel die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Regionen in Europa vergrößern wird.

Digitaler und grüner Wandel verändert Volkswirtschaften

Der digitale und grüne Wandel verändert Europas Volkswirtschaften grundlegend. Während sich für manche Regionen neue Chancen eröffnen, sind andere vor enorme Herausforderungen gestellt, ihre Produktionsprozesse und Infrastrukturen an die neue digitale und grüne Zukunft anzupassen.

Ob zum Beispiel eine Region wirtschaftlich von der Digitalisierung profitiert, hängt entscheidend von Faktoren wie Zugang zum Internet, Produktivität und Weiterbildungskapazitäten ab. Wie hoch die Anpassungskosten der Regionen für die grüne Transformation sind, entscheidet sich unter anderem an der CO2-Intensität der regionalen Industrie oder dem energetischen Zustand der Gebäude.

Die Studie The Future of EU Cohesion: Effects of the Twin Transition on Disparities across European Regions untersucht 230 NUTS-2 Regionen in der Europäischen Union auf ihr Wachstumspotential vor dem Hintergrund der doppelten Transformation. Sie verwendet dabei ein Punktesystem, das auf 14 Schlüsselfaktoren basiert. Diese beinhalten wichtige Wachstumstreiber und messen die Anpassungsfähigkeit an den digitalen und grünen Wandel.

Die Studie, die in Zusammenarbeit dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) erstellt wurde, liefert neue Evidenz zum Wachstumspotential von Europas Regionen und zum zukünftigen wirtschaftlichen Zusammenhalt in der EU.

Transformation verstärkt bestehende Unterschiede in Europa

Ausgangspunkt der Studie ist eine Schätzung des regionalen Entwicklungspotenzials. Regionen in Osteuropa, die in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich deutlich aufgeholt haben, weisen geringere Aussichten auf weiteres Wachstum auf, da sie bei wichtigen Schlüsselfaktoren wie hochqualifizierten Arbeitskräften, Investitionen oder Innovation verhältnismäßig schlecht abschneiden.

Zusammen mit südeuropäischen Regionen, die bereits in der Vergangenheit wirtschaftliche Stagnation verzeichneten, bleibt ihr Wachstumspotenzial hinter dem der Regionen in anderen Teilen Europas zurück.

Erschwerend kommt hinzu, dass die europäischen Regionen über ungleiche Voraussetzungen verfügen, um den digitalen und grünen Wandel zu meistern. Zum Beispiel profitieren Regionen mit besonders hoher Produktivität, guter Internet-Infrastruktur oder einer soliden Unternehmensstruktur stärker von einer digitalisierten Wirtschaft.

Andere Regionen sind dafür besser auf die Herausforderungen des grünen Wandels vorbereitet und können ihre Industrie, ihren Verkehrssektor oder ihren Gebäudebestand schneller und kostengünstiger CO2-neutral gestalten. Insgesamt zeigt sich, dass einige Regionen sehr gut vorbereitet sind, aber viele Regionen weder für den digitalen noch für den grünen Wandel hinreichend gerüstet sind.

Ländliche Regionen sind wenig auf Transformation vorbereitet

Die Studie bewertet, wie die doppelte Transformation zukünftige Wachstumsaussichten beeinflussen könnte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere urbane Regionen, die hauptsächlich auf wissensbasierte Dienstleistungen spezialisiert sind, sehr gut für den digitalen und grünen Wandel gerüstet sind und deshalb ein hohes Potenzial für wirtschaftliche Entwicklung aufweisen.

Diese bereits heute prosperierenden Regionen werden ihren wirtschaftlichen Vorsprung im Rahmen der doppelten Transformation weiter ausbauen. Dazu gehören insbesondere Metropolregionen wie Lissabon, Berlin, Bratislava, Budapest, Warschau, Prag, Stockholm und Köln, um nur einige zu nennen, aber auch Regionen rund um den Alpenraum in Zentraleuropa.

Die Studie zeigt auch, dass insbesondere ländliche und landwirtschaftlich geprägte Regionen in Spanien, Griechenland, Süditalien oder Rumänien, aber auch Bergbauregionen in Polen oder der Slowakei wenig auf den digitalen und grünen Wandel vorbereitet sind. Dadurch werden diese Regionen im Zuge der Transformation weiter zurückfallen.

Auswirkungen auf Deutschland

In Deutschland werden die Regionen München mit Oberbayern, der Großraum Stuttgart, Darmstadt und Braunschweig wie auch die Metropolen Hamburg und Berlin von der digitalen Transformation profitieren. Niederbayern wird durch die digitale Transformation eher das Nachsehen haben.

Die grüne Transformation begünstigt wiederum die Regionen München mit Oberbayern und dem Großraum Stuttgart, Darmstadt aber auch den Regierungsbezirk Tübingen. Keine der deutschen Regionen weist eine geringe Anpassungsfähigkeit für den grünen Wandel auf. 

Die EU-Kohäsionspolitik muss sich anpassen

Insgesamt kommt die Studie zum Ergebnis, dass sich Regionen, die bereits heute über ein hohes Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt verfügen, am besten an die doppelte Transformation anpassen können und dementsprechend über ein höheres Wachstumspotential verfügen. Regionen mit einem niedrigem Pro-Kopf-BIP wiederum haben größere Anpassungsschwierigkeiten und laufen Gefahr, im Zuge des digitalen und grünen Wandels in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung weiter zu stagnieren.

Die doppelte Transformation birgt daher die Gefahr, zur weiteren Verschärfung wirtschaftlicher Unterschiede zwischen Europas Regionen beizutragen. Dieser Umstand erfordert zielgerichtete Maßnahmen, um die EU-Kohäsionspolitik stärker an der grünen und digitalen Zukunft Europas auszurichten.

Wenn Maßnahmen nicht auf die individuellen Herausforderungen, die sich aus der doppelten Transformation ergeben, zugeschnitten sind, kann der digitale und grüne Wandel dem europäischen Ziel von Konvergenz und wirtschaftlichem Zusammenhalt entgegenstehen.


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