Homeoffice = (un)produktivere Arbeit?

Prof. Dr. Stefan SüßHeinrich-Heine-Universität Düsseldorf

13. März 2020 – angesichts der ersten Corona-Welle schließen Bund und Länder Schulen und Kitas. Um die Betreuung der Kinder sicher zu stellen, müssen Millionen Beschäftigte ins Homeoffice wechseln. Andere machen das aus freien Stücken oder weil die Arbeitgeber aus Gründen des Infektionsschutzes die Arbeit von zu Hause aus vorschlagen.

Das Gleiche wiederholt sich in Wellenbewegungen während der Pandemie. Mal kehren Beschäftigte ins Büro zurück, mal gibt es sogar eine Pflicht der Arbeitgeber, Homeoffice zu ermöglichen.

Gleichwohl ist Homeoffice nicht für alle Beschäftigten eine Option, sondern es ist sogenannten Wissensarbeitenden vorbehalten. „Der Bäcker kann nicht zu Hause backen“ lässt sich Arbeitsminister Heil dieser Tage zitieren. Schätzungen zu Folge kann aber gut die Hälfte aller Beschäftigen ganz oder zum Teil von zu Hause aus arbeiten.

Selbst wenn dieser Anteil auch während der Hochphasen der Pandemie nicht annähernd erreicht wurde, lassen die Erfahrungen der letzten beiden Jahre doch Erkenntnisse darüber zu, welche Konsequenzen die Arbeit im Homeoffice für die individuelle und unternehmensbezogene Produktivität hat.

Vorab: Die Rede ist von Erfahrungen mit dem Homeoffice, also der Arbeit von zu Hause aus. Mobiles Arbeiten (von jedem denkbaren Ort aus), ist hier nicht gemeint, da die Erkenntnisse dazu noch gering sind.

Geringe Produktivität durch unvorbereiteten Wechsel

Was konnten wir in einer eigenen Studie zum ThemaHomeoffice während der Corona-Pandemiefeststellen? Die selbst eingeschätzte Produktivität sank beim ersten, oft sehr spontanen und unvorbereiteten Wechsel ins Homeoffice (März 2020) um fast 10 Prozent. Kein Wunder, waren damals für viele Beschäftigte Kinderbetreuung und Arbeiten zeitgleich wahrzunehmen.

Hinzu kamen technische Probleme und oft auch der fehlende adäquate Arbeitsplatz. Die Produktivität nahm aber im Laufe der Zeit wieder zu und erreichte im zweiten harten Lockdown (Winter/Frühjahr 2021) fast das Vorpandemie-Niveau – trotz Homeschooling.

Die Beschäftigten hatten sich offenbar mit der Situation arrangiert; sie hatten gelernt, zu Hause zu arbeiten und technische Probleme waren weitestgehend gelöst. Diese Interpretation bestätigen auch Befunde, dass Personen, die schon vor der Pandemie Erfahrungen mit Arbeit im Homeoffice hatten, nicht nur produktiver als andere waren, sondern durchschnittlich weniger gestresst waren und weniger Work-Life-Konflikte empfunden haben.

Ist man also produktiv im Homeoffice, wenn man nur genügend Erfahrung damit hat?

Nicht ganz. Wie so oft kommt es auf die Details an.

Es kommt auf die Details an

Erstens wird deutlich, dass Routineaufgaben, die nicht oder kaum der Interaktion mit anderen (Kolleg/innen, Führungskräfte, Kund/innen) bedürfen, im Homeoffice durchschnittlich sogar produktiver bearbeitet werden als im Büro.

Umgekehrt zeigt sich aber auch, dass Produktivitätsfacetten, die über eine konkrete Aufgabe hinausgehen, auch nach dem Sammeln von Erfahrungen mit der Arbeit von zu Hause aus geringer ausgeprägt sind. Damit sind kreative und innovative Prozesse genauso gemeint wie teambezogene Aufgabenbestandteile oder Aspekte der Führung.

Zweitens kommt es auf die persönliche Situation an. Welche Arbeitsbedingungen hat man zu Hause? Unsere Studie weist aus, dass die meisten Personen am Küchentisch arbeiten, einige wenige sogar vom Sofa oder Bett aus – keine optimalen Bedingungen also. Ist man ungestört? Und welche sozialen Kontakte hat man im Privatleben, wenn diese im Büro unterbleiben – gerade für alleinlebende Personen ein Problem, das auf Stimmung und Produktivität gleichermaßen negativ wirken kann.

Anke Sundermeier Pixabay

Wo werden wir in Zukunft arbeiten?

13. März 2023 oder 2024 – ein Blick in die Zukunft: Die Pandemie ist (hoffentlich) eingedämmt und die Normalität weitestgehend zurück. Wo arbeiten wir?

Wissensarbeitende werden aus der Pandemie mitnehmen, dass Arbeit von zu Hause aus funktionieren kann. Unternehmen werden erkannt haben, dass bestimmte Arbeiten im Homeoffice durchaus produktiv erfolgen können.

Es werden sich Mischmodelle durchgesetzt haben, mit ein paar Tagen im Homeoffice und den anderen im Betrieb.

Dies würde sozialen Austausch genauso ermöglichen wie das konzentrierte Arbeiten zu Hause, das zudem oft zu einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben führt. Erforderlich dafür werden neue Kommunikations- und Führungsroutinen in den Unternehmen, eine stärkere Vertrauenskultur und auch neue Formate des digitalen und persönlichen Austausches sein.

Es ist aber auch wünschenswert, dass endlich das Arbeitsrecht an neue Arbeitswelten angepasst wird und flexibles Arbeiten (auch rechtlich) ermöglicht, wenn dieses gewünscht ist.

Klar ist: Ein Recht auf Homeoffice kann für alle Beteiligten Potenziale haben.

Insbesondere, wenn man sich der Voraussetzungen bewusst ist, die erfüllt sein müssen, damit die Arbeit von zu Hause aus produktiv ist. Es hätte sogar den Nebeneffekt positiver ökologischer Auswirkungen, wenn wir das Pendeln reduzieren. Aber: Aus dem individuellen Recht darf von keiner Seite eine Pflicht werden.

Ein Recht, keine Pflicht

Auch der Arbeitgeber tut gut daran, die Entscheidung, ob der Arbeitnehmer (auch) von zu Hause aus arbeiten will, dem Individuum zu überlassen. Zu unterschiedlich sind die persönlichen Umstände, angefangen beim heimischen Arbeitsplatz über die familiäre Situation bis hin zu Kommunikationsbedürfnissen, die zu Hause nicht erfüllt werden. Ignoriert man diese Faktoren, ist ein Produktivitätsverlust vermutlich die Folge.

Klar ist auch: Das Individuum läuft im Homeoffice Gefahr, schlechtere Arbeitsbedingungen als im Betrieb zu haben. Das gilt für den oft fehlenden oder ergonomisch nicht optimalen Arbeitsplatz.

Das gilt aber auch für die Selbstausbeutung hinsichtlich der Arbeitszeiten. Studien aus den USA zufolge arbeiten Individuen im Homeoffice täglich (!) rund 48 Minuten länger als es im Betrieb der Fall wäre. Ausbleibende Fahrtzeiten investieren viele in die Arbeit, oft unter dem Verzicht auf adäquate Pausen. Das erhöht gewiss kurzzeitig die Produktivität, ist aber langfristig potenziell gesundheitsschädlich und produktivitätsreduzierend.

Alle Akteure sind gefordert

Wir werden im Rahmen der Wissensarbeit künftig mehr Homeoffice sehen. Damit das produktiv, aber auch sozial und gesundheitlich verträglich erfolgen kann, sind alle Akteure gefordert. Unternehmen, Arbeitnehmende, Gesetzgeber und Sozialpartner.

Es gibt vieles zu bedenken, einiges zu regeln. Regelungen helfen, wenn sie dort erfolgen, wo sie zwingend nötig sind. Sie sollten aber Leitplanken bieten und situativ anpassbar an betriebliche und ggf. auch individuelle Situationen sein, um die Vorteile des flexiblen Arbeitens zu ermöglichen.

Ganz ohne Regeln wird es aber auch nicht gehen, will man nach der Sondersituation der Pandemie, die manche spontane oder ausbleibende Regelung rechtfertigt, produktives, gutes und gesundes Arbeiten im Betrieb und im Homeoffice dauerhaft ermöglichen.



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