Machthaber und Habenichtse: Wie Ungleichheit Umweltverhandlungen durchzieht

Dr. Wolfgang SachsWuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie

Zwei Arten von Schiffen kreuzen vor der Küste Senegals: kleine billige Holzboote und große teure Hightech-Fabrikschiffe. Die einen, bunt gestrichen und mit lustigen Wimpeln, werden von Einheimischen betrieben, um Fische zu fangen für den eigenen Kochtopf oder zum Verkauf am Markt, die anderen, ausgerüstet mit Peilgeräten und Kühlaggregaten, von Europäern, um die Supermärkte in Hamburg oder Wien zu versorgen.

Die Fabrikschiffe plündern die Fischbestände des Meeres in eine Weise, dass in den Netzen der Pirogen immer weniger hängenbleibt. Sie sind eine Bedrohung für lokale Fischer. Ohne hinreichendes Auskommen, verkauft dann der eine oder andere Fischer sein Boot, um den Schlepper für die Flucht über das Meer nach Europa zu bezahlen. Das Schicksal der senegalesischen Fischer ist kennzeichnend für die Lage der Armen in der Welt.

Armut ist nicht losgelöst von Reichtum zu verstehen

Gleich ob es sich um Fischersleute an den Küsten Keralas, Kartoffelbauern in den Gebirgstälern der Anden, fliegende Händler im Großstadtdschungel Manilas oder Näherinnen in den Sweatshops Hanois handelt, ihre Lebenssituation ist mitgeprägt von den Bedürfnissen der reichen Welt.

Armut ist daher nicht losgelöst von Reichtum zu verstehen. So auch in der Umweltpolitik.

Wie spiegelt sich der Gegensatz zwischen Wohlhabenden und Habenichtsen in der globalen Umweltpolitik?

Ungleichheit in der Umweltpolitik

Im Herbst dieses Jahres werden zwei Großereignisse der Umweltdiplomatie zu besichtigen sein, im November die alljährliche UNO-Klimakonferenz in Ägypten und im Dezember die UNO-Konferenz zum Schutz der Biodiversität in Kanada. Zehntausende werden kommen, zwischen Delegierten, Journalistinnen und Zaungästen aus der Zivilgesellschaft, um über Strategien beraten, wie das Klimaziel von 1,5 Grad doch noch zu erreichen sei.

Quälende Auseinandersetzungen wird es geben über die Quantität der Erdüberhitzung, doch die Fragen der climate justice werden weniger eine Rolle spielen. Ebenso wird es dicken Streit geben, wie das Artensterben mitsamt dem Verlust an Lebensraum gestoppt werden könne, doch die Rechte der lokalen Gemeinschaften und der indigenen Völker werden kaum anerkannt werden.

Dabei ist eine tätige Kooperation weltweit ohne Fairness undenkbar, genauso wenig wie eine Achtung der Menschenwürde ohne eine gute Portion von Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit ist nicht gleich Gerechtigkeit

Aber ist nicht in der Definition von sustainable developmentder Eckstein aller Umweltverträge – ein Konzept von Gerechtigkeit enthalten? Richtig, jedoch hebt sie auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen ab, die Gerechtigkeit innerhalb einer Generation hingegen fällt unter den Tisch.

Wessen und welche Bedürfnisse sollen befriedigt werden? Soll nachhaltige Entwicklung das Bedürfnis nach Wasser, Boden und wirtschaftlicher Sicherheit oder das Bedürfnis nach Flugreisen und Bankguthaben erfüllen? Geht es um Überlebensbedürfnisse oder Luxusbedürfnisse?

Ökologische Spaltung der Welt

Denn die wirtschaftliche Spaltung in der Welt setzt sich in der ökologischen Spaltung fort. So verursachte die wohlhabende Hälfte der Weltbevölkerung, also die Ober- und Mittelklassen aus Nordamerika, Europa, Asien und dem Mittleren Osten, im Jahr 2019 sage und schreibe 88 Prozent der globalen Treibhausemissionen, während die andere Hälfte, also die Habenichtse, nur 12 Prozent der Emissionen auslöste.

Anders ausgedrückt: Allein die Konsum- und Investitionstätigkeit der reichen 10 Prozent machen knapp die Hälfte der globalen Emissionen aus, während 90 Prozent der Weltbevölkerung die andere Hälfte erzeugen. Welch ein gigantisches Missverhältnis! Für das Klimachaos haben somit die Begüterten auf der Welt geradezustehen, aber die Habenichtse müssen meist dessen Folgen ausbaden.

Ungleichheit bei Verantwortung und Last

Menschen auf der ganzen Welt werden mit den Folgen für die menschliche Gesundheit, die landwirtschaftlichen Erträge und die Veränderungen in der Flora und Fauna konfrontiert werden, aber trotzdem werden die ärmsten Länder und die ärmsten Menschen zuerst und am stärksten betroffen sein. Kinder, Frauen und ältere Menschen sind am meisten gefährdet, insbesondere in wirtschaftlich schwachen Regionen.

Es häufen sich die Beispiele: im April Dürre in Indien, die 350 Millionen Menschen betrafen, im September Überschwemmungen in Pakistan, die ein Drittel des Landes unter Flut setzten.

Überdies könnten einige Länder buchstäblich verschwinden. Der Klimawandel ein klassisches Beispiel, wie Umweltbelastungen auf andere Länder und andere Menschen abwälzt werden. Diejenigen, die am wenigsten verantwortlich sind, tragen die schwerste Last.

© Renzo D’souza – unsplash.com

Leben vom Zugang zur Natur

Mit seiner Geburt erwirbt jeder Mensch ein fundamentales Gastrecht auf der Erde. Das ist der Kern der Menschenrechte.

Allerdings lebt grob gesagt ein Viertel der Weltbevölkerung vom direkten Zugang zur Natur, das wird häufig in den Verhandlungen zum Schutz der Biodiversität vergessen. Jenes Viertel bezieht Nahrung, Kleidung, Behausung, Medizin und auch kulturelle Bedeutung unmittelbar aus den lokalen Naturräumen.

Weil Savannen, Wald, Wasser, Ackerboden und auch Fische, Vögel oder Rinder für diese Gruppen unerlässliche Mittel zum Lebensunterhalt darstellen, hängen ihre Existenzrechte am Gedeihen dieser Ökosysteme. Im Jahr 2010 machten zum Beispiel in Indien Einkünfte aus Ökosystemleistungen 16 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus, aber 47 Prozent bei der armen Bevölkerung.

Großflächige Abholzung dagegen und leere Fischgründe, Ölplattformen und Gaspipelines, Silberbergwerke und Lithiumtagebau sind oft mit Enteignung und Vertreibung verbunden. Darüber hinaus hat die Ausweitung der Landwirtschaft in den Tropen wertvolle Ökosysteme zerstört zugunsten der Wohlhabende für die Viehzucht in Lateinamerika und für Plantagen in Südostasien.

Soja, Palmöl und Rindfleisch sind die Rohstoffe mit der größten tropischen Entwaldung, die in die EU importiert werden, gefolgt von Holzprodukten, Kakao und Kaffee. Selbst in Naturschutzgebieten wurden die Ureinwohner vertrieben, obwohl sie meist Wächter der Natur sind.

Globale Hochverbraucher müssen ihren Bedarf reduzieren

Alles in allem können Menschen- und Umweltrechte nur gewahrt werden, wenn die globale Hochverbraucher ihren Bedarf an natürlichen Ressourcen reduzieren. Erst wenn die Nachfrage nach Öl sinkt, macht es keinen Sinn mehr, Fördergebiete im Dschungel zu eröffnen.

Erst wenn der Wasserdurst auf Seiten der Landwirtschaft und Industrie nachlässt, gibt es genug Grundwasser für Trinkwasserbrunnen in den Dörfern.

Und nur wenn der übermäßige Verbrauch fossiler Brennstoffe reduziert wird, werden die Lebensgrundlagen der Armen nicht mehr durch die heimtückischen Folgen des Klimawandels bedroht.

Wer erinnert sich nicht an Mohandas Gandhis berühmtes Zitat: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wohlstand für alle innerhalb planetarer Grenzen – Wie transformieren wir die Soziale Marktwirtschaft? von Sara Holzmann und Dr. Marcus Wortmann, Bertelsmann Stiftung

Sozial und ökologisch – geht das? von Prof. Felix Ekardt, Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik (Leipzig und Berlin)

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um das Klima zu retten? von Prof. Fabian Lindner, HTW

 



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