Nachhaltigen Konsum neu verstehen

Dr. Renate HübnerUniversität Klagenfurt

Nachhaltiger Konsum kann viele Formen annehmen, scheint aber dominiert von Maßnahmen, die das Kauf- und Entledigungsverhalten betreffen.

Viele Maßnahmen basieren auf der Botschaft „Shoppen for a better world“ und vermitteln, dass jede/r nur bei sich selbst anfangen, sich nur ausreichend informieren müsse und dass „richtig Kaufen“ und „richtiges Trennen von Abfällen“ ausreichen um die Welt zu verbessern. Ökologische, biologische, regionale, saisonale bzw. faire Labels, Lifestyle-Zeitschriften oder Webseiten vermitteln diese „Wohlfühlnachhaltigkeit“ (Philipp Aerni, 2017).

Die Dominanz eines derart auf Kaufprozesse verkürzten Konsumverständnisses

  • reduziert den Konsumenten/die Konsumentin auf die Rolle als Kaufende (rasch nutzbarer Produkte bzw. Lösungen, Preis als wichtigstes Entscheidungskriterium),
  • reduziert Konsum auf den individuellen Charakter von Konsumhandlungen und
  • drängt alternative Konsumformen und damit die Vielfalt an Beschaffungs- bzw. Versorgungs- und Entsorgungsmöglichkeiten (Leihen, Reparieren, Schenken, Tauschen, Teilen, selber machen usf.) aus dem Blick.

Das Markt-Kauf-Paradigma und seine Folgen

Ein solches am Markt-Kauf-Paradigma ausgerichtetes Konsumverständnis hat gravierende Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung:

  • Sie macht erstens Menschen einseitig marktabhängig (Barber, 2007, spricht in diesem Zusammenhang von der „Infantilisierung der Erwachsenen“)
  • dies führt zweitens aufgrund des ökonomischen Wachstumsparadigmas dazu, dass auch Konsum – genauer gesagt das Kaufen – dieser Logik des immer Mehr folgt
  • und scheint drittens so die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und des fairen Miteinanders zu beschleunigen (Fridrich et al., 2017).

Versteht man Gesellschaft als soziales Gebilde, das dauerhaft durch das Handeln der einzelnen Gesellschaftsmitglieder reproduziert wird (Berger/Luckmann 2009), dann trägt Nachhaltiger Konsum in diesem reduktionistischen Verständnis paradoxerweise eher zur Reproduktion bestehender, nicht nachhaltiger Konsummuster als zu deren Veränderung bei.

Wie dies bspw. im Falle des „Nudging“ deutlich wird: Wenn nachhaltiger Konsum auf „richtig Kaufen und Trennen“ reduziert wird, genügt es, wenn

  • ExpertInnen aus Klima- und Umweltwissenschaft vorgeben, welches Verhalten richtig ist
  • WirtschaftsexpertInnen vorgeben, unter welchen Bedingungen das ökonomisch vertretbar ist
  • KommunikationsexpertInnen vorgeben, wie man das kommuniziert.

Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Zielgruppe anschließend aufgeklärt verhält oder nach einem einfachen Reiz-Reaktions-Schema mit Hilfe von „Nudges“ „sanft“ in die richtige Richtung  „gestupst“ werden kann (Reisch und Gwozdz 2011).

Ergebnis ist, dass die Menschen bestenfalls innerhalb dieser – von ExpertInnen vorgegebenen – Alternativen handeln und selbst keine Alternativen entwickeln. Diese wären aber erforderlich, um Konsummuster aufzubrechen und neue Muster des Versorgens, Nutzens und Kooperierens zu entwickeln.

Verhexte Probleme

Ein weiteres Problem sind die Widersprüche, nachhaltig zu kaufen. Diese werden, wie Studien zeigen, von Menschen inzwischen auch gespürt (Dilemma zwischen öko oder fair, zwischen Individualverkehr und Öffis, Energiewende und Naturschutz usf., sh. dazu Weder/Hübner 2021).

Dies führt zu der These, dass das Konzept Nachhaltigen Konsums im Rahmen eines auf Kauf reduzierten Konsumverständnisses letztlich in ausweglose Konfliktsituationen (Dilemmata, Aporien) führt und der aporetische Charakter den mobilisierenden Charakter des utopischen Konzepts der Nachhaltigkeit kompensiert – und daher hemmt.

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Konsum neu denken, heißt Wirtschaft neu denken

Ein weiterer Aspekt erhöht die „Bösartigkeit“ des Problems: Das durch den transformatorischen Anspruch des Nachhaltigkeitskonzepts erzeugte Widersprüchliche geht weit über individuelles Handeln (als solche werden Konsumhandlungen häufig modelliert) und die alltäglichen Zielkonflikte hinaus.

So wie das Individuum vom käuflich erwerbbaren Angebot abhängt, so hängt das derzeit dominierend Wirtschaftssystem von der Kauffreude der Bürger ab und schürt mit allen Mitteln den Bedarf nach immer Mehr. Eng mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist daher nicht nur Konsumkritik, sondern auch der kritische Diskurs um ein an Wachstum und Gewinn ausgerichteten Wirtschaftssystem verbunden, das derzeit die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung weltweit zu bestimmen scheint.

Debatten wie die Postwachstums- oder Degrowth-Debatte (siehe u.a. Stiglitz, J., Sen, A., Fitoussi, J.F. 2010, Paech 2012, Dennis Eversberg 2016,  Miegel 2010) oder jene über qualitatives Wachstum (Binswanger HC, Frisch H. et al. 1983) und Alternativen zum BIP als Wohlstandsindikator (bspw. ISEW, Happiness-Indizes) eröffnen neue Perspektiven in Bezug Wirtschaften und Konsum.

Häufig sind diese Perspektiven mit neuen Formen des Wirtschaftens verknüpft oder schaffen zumindest Raum für die Entstehung bzw. Stabilisierung neuer Formen des Konsums. Darüber hinaus können diese Diskurse helfen, künftige gesellschaftliche Ziele zu konkretisieren.

Was lässt sich daraus ableiten?

  1. Konsum weiter denken: den Konsumbegriff auf sämtliche Prozesse und Entscheidungen von der Bedarfsentstehung über die Beschaffungsentscheidung bis hin zur Bedürfnisbefriedigung ausdehnen.
  2. Bestehende und neue Handlungsspielräume sichtbar, erlebbar machen: ein erweiterter Konsumbegriff kann dazu beitragen, zum Kauf alternative Beschaffungs- bzw. Versorgungsmuster zu entwickeln und damit unabhängiger vom Marktangebot zu werden.
  3. Digitalisierung für alternative Konsumformen, den Diskurs und die Mitgestaltung von Zukunft nutzen: Alternativen zu Kaufprozessen bewegen sich zwischen teilen (sharing), selber machen (Subsistenz, „do it yourself“), gemeinsam machen (bspw. urban gardening, solidarisch wirtschaften, repair cafe) bis hin zur Mobilisierung für buycott bzw- boycott-Maßnahmen. Neue Rollen der Konsumenten, die weit über das Kaufen hinausgehen und neue Kooperationsmöglichkeiten entstehen. Die Digitalisierung kann diese Prozesse und Handlungsmuster unterstützen, verstärken und beschleunigen.

Nachhaltiger Konsum

Ein Konsum der Zukunft bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Polen Zukunftsfähigkeit, neue Technologien und Transformationspotenzial.

Ein anderer Konsum ist geprägt von geänderten Konsummustern, dessen Vielfalt Gesellschaft und gesellschaftliche Verhältnisse verändert.

  • Gemeinschaftlicher Konsum
  • Gesellschaftliche Entwicklung und Wirtschaftslogik einbeziehen
  • Transformation mitgestalten
  • Empowerment (Verbraucherbild, Verbraucherbildung) statt (noch mehr) Information
  • Aktuelle technische und mögliche gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick nehmen

Drei thematische Bereiche können die Auseinandersetzung „speisen“ und den Einsatz digitaler Technologien und des Internets:

Tabelle 1: Transformatives Potenzial von Konsum – Chancen durch Digitalisierung, Quelle: Eigene Darstellung

Den Menschen als produzierendes Wesen verstehen

Die größte Kraft eines veränderten und verändernden Konsums kann darin liegen, den Menschen als „homo faber“, als produzierendes Wesen (sh. ua. Marx) zu verstehen. Dies bedeutet, dem Menschen das „Machen“ nicht zu nehmen.

In einer Gesellschaft, in welcher die Herstellung von Gütern industriell und automatisiert erfolgt, in der von Maschinen standardisierte Massenware erzeugt wird, ist Arbeit hoch arbeitsteilig und hierarchisch organisiert – das Ergebnis seines Tuns sieht der Einzelne nicht.

Der Drang, produktiv und gestaltend tätig zu sein, verlagerte sich in andere Bereiche. Der Homo Faber verwirklicht sich nun also im Konsum: Kaufakte und (sichtbarer) Besitz werden zu wesentlichen Elementen um gestalterisch tätig zu werden. Sein Leben – oder besser seinen (eigenen) Lebensstil – zu gestalten.

Vom Kaufakt zurück zum „Machen“

Je mehr nun auch Kaufakte automatisiert und Besitz standardisiert sind, umso mehr nehmen auch hier individuelle Gestaltungsmöglichkeiten ab und umso eher suchen Menschen nach neuen Möglichkeiten des „Machens“.

Anstelle des Fokus auf die individuelle Lebensgestaltung entsteht zunehmend Interesse am gemeinsamen Machen. Die (rasante) Entwicklung der digitalen Technologien eröffnen völlig neue Möglichkeiten hierzu: Die Digitalisierung ermöglicht es, sich mit Gleichgesinnten in einem Ausmaß und einer Intensität zu vernetzen, wie es nie zuvor möglich war.

Weitere Beiträge zum Thema sind in dem Buch „Das transformative Potenzial von Konsum zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung – Chancen und Risiken“ erschienen. Hier gibt es Informationen zum Symposium „Haben wir genug? Suffizienz und Mäßigung des Konsums als Weg in eine nachhaltigere Zukunft“an der Universität für Bodenkultur.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Chancen und Grenzen der Ressourceneffizienz von Prof. Dr. Stefan Pauliuk, Uni Freiburg

Regionale Wirtschaft stärken: Die Konzepte sind da, aber wenig bekannt von Dr. Michael Kopatz, Wuppertal Institut

Eine sozial-marktwirtschaftliche Wachstumstransformation von Tobias Vogel, Uni Witten/Herdecke



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