Neue Abhängigkeiten in einer klimaneutralen Weltwirtschaft: Was Deutschland dagegen tun kann

Dr. Michael JakobEcologic Institute

Der Krieg in der Ukraine hat uns schmerzlich vor Augen geführt, welche Abhängigkeiten durch die Nutzung fossiler Rohstoffe entstehen.

Zwar konnte der Anteil der deutschen Erdgas-Importe aus Russland in kurzer Zeit durch andere Versorgungskanäle von ca. 55 Prozent auf etwa 33 Prozent gesenkt werden. Ein vollständiger Verzicht auf russisches Gas und Öl würde jedoch tiefgreifende Veränderungen nötig machen, um zum Beispiel Wärmepumpen und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in Gebäuden attraktiv zu machen.

Ein Ausstieg aus dem Öl wiederum erhöht die Dringlichkeit, die Verkehrswende zu beschleunigen. Auf diese Weise könnte die momentane geopolitische Krisensituation also dabei helfen, nun endlich Schritte einzuläuten, die für den Klimaschutz dringend geboten sind.

Das deutsche Klimaschutzgesetz zielt auf ‚Netto-Null-Emissionen‘ bis 2045 ab. Danach dürfen nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden, wie wieder aus der Atmosphäre entnommen werden können, zum Beispiel durch Aufforstung oder Renaturierung von Mooren.

Die Abkehr von fossilen Rohstoffen könnte auch außen- und sicherheitspolitisch relevant sein.

Autokratische Regime könnten sich nicht mehr durch den Verkauf von Öl und Erdgas finanzieren, und Sanktionen gegen Länder, die völkerrechtswidrige Kriege anzetteln, wären leichter umzusetzen, wenn man glaubhaft vermitteln kann, dass die eigene Belastung gering ausfällt.

Auch in einer Netto-Null-Welt gäbe es Abhängigkeiten

Aber auch in einer Netto-Null-Welt gäbe es weiterhin Abhängigkeiten. Zwar werden erneuerbare Energien lokal produziert. Aber die Materialien für die Herstellung von Windkraftanlagen und Solarpaneelen müssen zum größten Teil aus anderen Ländern importiert werden.

Dies ist besonders eklatant für Rohstoffe, die zur Batterieherstellung benötigt werden. So werden beispielsweise aktuell mehr als 60% des weltweit genutzten Kobalts in der Volksrepublik Kongo abgebaut, mehr als zwei Drittel des Nickels stammen aus Indonesien.

Auch für grünen Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, der unter anderem für die Dekarbonisierung der deutschen Schwerindustrie essenziell ist, könnten sich Import­abhängigkeiten ergeben. Zwar lässt sich Wasserstoff überall produzieren, wo ausreichend Land und Sonne bzw. Wind vorhanden sind. Aber der Transport per Schiff ist teuer, so dass aus Ländern wie Australien oder Chile wohl vor allem Wasserstoff-Derivate wie Ammoniak oder Ethanol importiert werden.

Für Wasserstoff in seiner Reinform bietet sich vor allem der Transport über Pipelines aus Nordafrika an. Dadurch entstünde aber eine ähnliche Abhängigkeit wie derzeit für Gas aus Russland.

Abhängigkeiten minimieren

Die deutsche Wirtschaft muss sich frühzeitig darauf einstellen, kritische Rohstoffe so sparsam wie möglich einzusetzen, um mögliche Abhängigkeiten zu minimieren.

Hierbei ist eine Kreislaufwirtschaft zentral.

Bereits jetzt können zum Beispiel schon mehr als 90 Prozent der in Lithium-Ionen-Batterien enthaltenen Rohstoffe recycelt werden. Auf diese Weise kann die notwendige Primärförderung – und damit auch der einhergehende Energieverbrauch, die lokalen Umweltschäden sowie die Abhängigkeit von Importen – deutlich verringert werden.

© CHUTTERSNAP – unsplash.com

Auch sollte frühzeitig nach möglichen Substituten für kritische Rohstoffe gesucht werden, um im Krisenfall schnell umsteigen zu können. Ferner schaffen breit diversifizierte Lieferketten einen Puffer gegen den Ausfall eines wichtigen Lieferanten.

Die Versorgung aus bestimmten Weltregionen kann nicht nur aufgrund von bewaffneten Konflikten zum Erliegen kommen, sondern auch durch eine erneute Pandemie oder durch eine Naturkatastrophe, wie sie durch verstärkte Auswirkungen des Klimawandels immer wahrscheinlicher werden.

Was die Politik beitragen kann

Die Politik kann im Rahmen von Energie- und Rohstoffpartnerschaften dazu beitragen, resiliente Lieferketten für grünen Wasserstoff und kritische Rohstoffe zu schaffen. Die bundeseigene Stiftung H2Global, die als Intermediär die langfristige Versorgung mit grünen Wasserstoff und dessen Derivaten sicherstellt, ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Hierbei muss jedoch stets auch sichergestellt werden, dass die Importe nach Deutschland in den produzierenden Ländern strenge Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Ansonsten würde die Nutzung von grünem Wasserstoff in Deutschland zu Lasten von Menschen und Natur in anderen Ländern gehen. So darf die Gewinnung von Wasserstoff für den Export nicht die Energiewende vor Ort verzögern, und beim Abbau von Rohstoffen dürfen keine Menschenrechte verletzt werden.

Das deutsche Lieferkettengesetz etabliert bereits eine Sorgfaltspflicht für Großunternehmen in Bezug auf grundlegende Menschenrechte bei ihren direkten Zulieferern. Der Entwurf für ein EU-weites Lieferkettengesetz geht sogar noch weiter, indem die gesamte Lieferkette adressiert wird und auch für mittelgroße Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden gelten würde.

Eine Ausweitung dieser Verpflichtungen auf Umweltstandards könnte helfen, nachhaltige Lieferketten zu schaffen. Die Bundesregierung könnte ihren Vorstoß zur Schaffung eines Klima-Clubs nutzen, um eine internationale Vereinheitlichung solcher Standards voranzutreiben.

Produktion verlagern?

Aus Klimaperspektive würde es sich zudem anbieten, anstatt von grünem Wasserstoff leichter zu transportierende Grund­materialien aus emissionsfreier Herstellung einzuführen, zum Beispiel grünen Stahl. Dies könnte den produzierenden Ländern helfen, weitere Teile der Wertschöpfungskette zu erschließen und würde das Risiko von Carbon Leakage, d.h. der regionalen Verlagerung von Emissionen anstatt ihrer tatsächlichen Minderung, reduzieren.

Allerdings würde eine Verlagerung der Produktion einen Rückgang der in Deutschland erzielten Wertschöpfung bedeuten und mit beträchtlichem politischem Widerstand einhergehen. Um zu entscheiden, welche Industriezweige in Länder mit kostengünstigen Potenzialen zur Erzeugung grünen Energie verlagert werden können, ist es notwendig, klimapolitische und industriepolitische Überlegungen gegeneinander abzuwägen.

Die aktuelle politische Situation bietet die Möglichkeit, die Abkehr von der Nutzung fossiler Rohstoffe zu beschleunigen. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr neuer Abhängigkeiten von Importen von Wasserstoff und kritischen Rohstoffen. Die Politik steht nun in der Pflicht, langfristig angelegte Strategien zu entwickeln, um nachhaltige Lieferketten für eine dekarbonisierte Weltwirtschaft zu schaffen.


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