Regionale Wirtschaft stärken: Die Konzepte sind da, aber wenig bekannt

Dr. Michael KopatzWuppertal Institut

Die Corona-Krise ist belastend für unsere Städte und Gemeinden, hat aber auch ermutigende Entwicklungen hervorgebracht. Homeoffice und Coworking Space machen das Leben im Umland wieder attraktiv. Sharing Ökonomie, lokale Produktion und regionale Nahversorgung sind populär geworden. Doch bisher haben die Kommunen und ihre Wirtschaftsförderer solche Entwicklungen nur beobachtet. Es wird Zeit, sie aktiv zu fördern.

Klassische Förderung und ihr Flächenverbrauch

Klassische Wirtschaftsförderung sieht oft so aus: Ein Unternehmen will sich vergrößern, also sucht man ein Grundstück. Ein Unternehmen braucht einen Standort, man findet einen. Fortwährend asphaltieren die Kommunen Grünflächen, um weitere Flächen für Gewerbe anzubieten.

Ganz beliebt, aber unklug: Ein Logistiker errichtet seine Hallen. Das bringt viel zusätzlichen Verkehr und damit Lärm und Klimagase, verbraucht kostbare Grünflächen und schafft – im Verhältnis dazu – relativ wenige, noch dazu schlecht bezahlte Jobs.

Mitunter scheint es so, als diene der Flächenverbrauch als Arbeitsnachweis für eine gelungene Wirtschaftsförderung. Im Bestand kommt es hingegen zu Leerständen und Unternutzungen. Selten finden sich entschiedene Programme, um dieses Potenziale zu nutzen.

Regionalwirtschaft systematisch stärken

Städte und Gemeinden sollten endlich beginnen, die Regionalwirtschaft systematisch zu stärken, etwa durch ein „Bündnis für regionale Beschaffung“. Neben der Kommunalverwaltung könnten beispielsweise Krankenhäuser, Stadtwerke, Diakonisches Werk oder Universitäten teil eines solchen Bündnisses sein.

Auch größere Unternehmen, welche sich tendenziell dem Gemeinwohl oder der Region verpflichtet fühlen, lassen sich womöglich einbeziehen. Solche sogenannten Ankerinstitutionen sind oftmals große Arbeitgeber und deren Entscheidungen von großer Relevanz für die Region.

Lokale Wirtschaft stärken heißt auch, Produktion zurückzuholen.

Hier sollte Politik handeln und Unternehmen locken und fördern, die wieder auf kürzere Wertschöpfungsketten setzen, modern „Nearshoring“. Inzwischen unterhalten Betriebe ihre Produktionsstätten und Lager in die Nähe der Region, wo sie die Produkte auch verkaufen möchten. Neue Technologien wie etwa der 3-D-Druck machen dezentrale Standorte für die Fertigung wieder interessant.

Es geht nicht darum, Fernseher lokal zu montieren. Arbeitsteilung und Spezialisierung haben ja die sinkenden Stückkosten und damit den Wohlstand mit sich gebracht, auf den wohl kaum jemand verzichten möchte. Gleichwohl ist eine Renaissance der regionalen Produktion erstrebenswert und möglich, besonders bei Lebensmitteln und Kleidung.

Wenig bekannte Konzepte

Bei meinen Recherchen sind mir so viele Projekte, Initiativen und Konzepte begegnet, die nur wenigen Bürgerinnen und Bürgern bekannt sein dürften. Die solidarische Landwirtschaft ist so ein Beispiel. Kaum jemand weiß überhaupt, was das ist, auch nicht die Landwirte selbst und schon gar nicht die Mitarbeitenden der Wirtschaftsförderung.

Das Konzept – es muss gar nicht nur Bio sein – sichert und schafft Arbeitsplätze und ermöglicht Vielfalt in der Nahversorgung. Die umliegenden Landwirte sind nicht zu Monokultur und Preisdumping gezwungen, sondern profitieren von fairen Preisen, Kundenbindung und Wertschätzung.

Zudem bindet die Direktvermarktung Rendite an die Region, verkürzt Wertschöpfungsketten und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Woran es hakt, sind aktive Förderimpulse aus den Städten und Regionen.

Wegweisend ist das Engagement der Regionalbewegung. In dem Bundesverband vernetzen sich Initiativen, Unternehmen und Politik. Sie tauschen sich darüber aus, wie man die Nahversorgung mit Lebensmitteln des täglichen Bedarfs ausbauen kann. Es geht aber auch um regionale Finanzdienstleister, regionale erneuerbare Energien und das regionale Handwerk.

© Natalino D’Amato – unsplash.com

Renditen an die Region binden

Genossenschaften und Stiftungen sind übrigens sehr sinnvoll, um Renditen an die Region zu binden. Der Verkauf von Wohnungsgesellschaften beispielsweise hat zu rasant steigenden Mieten geführt. Die Anleger – sie können irgendwo auf der Welt wohnen – erwarten schließlich eine ordentlich Rendite. Das schwächt die kommunale Wirtschaft.

Bei einer Genossenschaft profitieren die Bewohner:innen von den Gewinnen. Ein anderes Beispiel sind Stadtwerke. Einige gehören noch zu 100 Prozent der Kommune. Mit den Gewinnen werden etwa defizitäre Schwimmbäder gestützt oder an die Stadt ausgezahlt. Bürgerrendite nennt sich das.

Manchmal fällt es auch niemandem auf, wenn Renditen die Region verlassen, wie etwa beim Lieferdienst Lieferando in Form von Gebühren für die Plattform. Klug wäre, die Gastronomen etablieren eine eigene Plattform, am besten genossenschaftlich und ohne Gewinnorientierung. So bleibt der Service erhalten, man kann mit einer App überall bestellen, und Wirte werden nicht abgezockt.

Neue Wirtschaftsideen fördern und lokale Vielfalt stärken

Wenn jemand eine App auf dem Markt bringt und 2-3 Mitarbeiter:innen anstellt, dann wird das von der Wirtschaftspresse schnell als StartUp gefeiert. In Anbetracht der Euphorie für die Segnungen der Digitalisierung übersehen die Akteure in den Städten und Regionen oft viele interessante Projekte und Initiativen, die sich zu relevanten Geschäftsmodellen entwickeln können und zugleich unmittelbar dem Gemeinwohl dienen.

Das Repair-Café entwickelt sich womöglich zum professionellen Reparaturbetrieb, weiter zum Reparaturnetzwerk und es kommt zu Erweiterungen etwa durch Second-Hand-Angebote. Das Handwerk nutzt diese Orte zuweilen, um junge Menschen für die Ausbildung zu gewinnen.

Möglich sind auch hypermoderne öffentliche Werkstätten, die zugleich von ambitionierten Laien und Profis genutzt werden, die sich noch keinen eigenen Betrieb leisten können. Solche Entwicklungen gibt es in einigen Städten bereits, sind zugleich aber die Ausnahme. Gut gesetzte Impulse können in vielen Städten dafür sorgen, Projekte aus der Nische zu holen.

Es geht so viel mehr!

Dieses Konzept bezeichne ich als „Wirtschaftsförderung 4.0“. Denn auch die Gemeinwohlökonomie kann von innovativen Technologien profitieren. Reperaturwesen, Sharingkonzepte, urbane Produktion und Nahversorgung können nicht nur dafür sorgen, Gewinne zurückzuholen. Es sind zudem Orte der Begegnung. Anders als gewöhnlich, kommen Menschen miteinander in Kontakt. Teilen, Tauschen, Schenken, Kooperieren, Selbsthilfe – all dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl, den sozialen Zusammenhalt. Und dort, wo sich Menschen zu Hause fühlen, möchten sie gerne arbeiten, dort möchten sie gerne leben, dort findet sich qualifiziertes Personal. Das wirkt zugleich nationalistischen Tendenzen entgegen.

Wirtschaftsförderung 4.0

Wir sollten uns öfters fragen, was funktioniert eigentlich gut, wenn der Export schlecht läuft, wenn die Weltwirtschaft schwächelt? Welche Faktoren stabilisieren unsere Wirtschaftsgesellschaft, was ist krisenfest? Kurzum, es geht um eine wirklich nachhaltige Wirtschaft. Was die Klimahitze befördert und die Natur zerstört, muss schrumpfen. Förderungswürdig sind nur enkeltaugliche Geschäftsmodelle.

Diesen Perspektiven stellt sich die „Wirtschaftsförderung 4.0“. Sie entwickelt Strategien, die zur Krisenfestigkeit einer Region beitragen. Oder anders gesagt, Strategien, mit denen die Risiken der Globalisierung abgesichert werden können. Sie erhöht die Attraktivität der Nahversorgung, fördert die Vielfalt – nicht zuletzt der Innenstädte. Eine zukunftsfähige Ökonomie dient dem Gemeinwohl der Stadtgesellschaft, dem guten Leben.



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