Wer digitalisiert, kommt gesünder durch die Krise

Prof. Dr. Irene BertschekZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

Ein Virus hat die Wirtschaft weltweit gewaltig zum Straucheln gebracht. Produktionsanlagen stehen still, Menschen gehen in die Kurzarbeit oder ins Home-Office, manche verlieren ihre Existenzgrundlage. Vieles wird sich nach dem Ende des Corona-Lockdown wieder zurückdrehen lassen, aber klar ist jetzt schon, dass sich die Wirtschaft nicht so schnell von dieser Krise erholen wird und dass die Corona-Krise weit deutlichere Spuren hinterlassen wird als es die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 getan hat. Dennoch gibt es einiges, was wir aus der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 lernen können.

In einer empirischen Studie haben Patrick Schulte, Michael Polder und ich festgestellt, dass hoch digitalisierte Unternehmen weniger stark von der Krise betroffen waren als gering digitalisierte (Bertschek et al. 2019). Niveau und Wachstum der Arbeitsproduktivität haben sich, insbesondere im Dienstleistungsbereich, bei hoch digitalisierten Unternehmen kaum verringert, während sie bei gering digitalisierten Unternehmen stark zurückgingen. So nahm das Produktivitätswachstum hoch digitalisierter Unternehmen während der Krise um lediglich 0,5 Prozentpunkte ab, während es bei gering digitalisierten Unternehmen um 2,3 Prozentpunkte sank. Gleichzeitig gelang es höher digitali­sierten Unternehmen, ihre relative Innovationsfähigkeit durch die Einführung von Prozessinnovationen zu verbessern.

Die ökonometrische Analyse mittels eines Differenz-in-Differenzen-Ansatzes wurde mit Daten zu zwölf europäischen Ländern und sieben Industrien für den Zeitraum 2001 bis 2010 durchgeführt. Empirische Grundlage der Untersuchung war die Micro-Moments-Data Base von Eurostat, die verschiedene Unternehmenserhebungen zusammenführt: die Innovationserhebung, die Erhebung zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in Unternehmen, die Produktionsstatistik und das Unternehmensregister (Bartelsman et al. 2018). In allen betrachteten Industrien wiesen die Un­ternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad eine höhere Arbeitsproduktivität auf als weniger digitalisierte Unternehmen. Diese Produktivitätsunterschiede fielen während der Krise wesentlich größer aus als vor der Krise.

Digitalisierung macht mobil

Hoch digitalisierte Unternehmen erweisen sich als krisenresistenter. So heterogen wie die Digitalisierung ist, so vielfältig sind jedoch auch die Möglichkeiten digitale Lösungen anzuwenden und ihre Potenziale zu nutzen. Was bedeutet dies im Hinblick auf die Corona-Krise? Hier hilft ein Blick auf unterschiedliche Branchen.

In unternehmensnahen Dienstleistungsbranchen, die größtenteils schon jetzt hoch digitalisiert sind, können in Zeiten einer Pandemie, wie wir sie derzeit erleben, Tätigkeiten relativ einfach vom Büro ins Home Office verlagert werden. Tätigkeiten beispielsweise in der Forschung oder in der Rechts- und Steuerberatung finden zumindest teilweise nicht ortsgebunden statt. Der Kontakt zu Projektpartnern und Kunden ist auch per Mail und Videokonferenz oder telefonisch möglich. Digitalisierung macht mobil. Studien unseres ZEW-Teams „Digitale Ökonomie“ haben gezeigt, dass je höher der Anteil der Beschäftigten, die von ihren Arbeitgebern mit mobilen Endgeräten ausgestattet werden und damit Zugang zum Internet haben, umso höher ist die Arbeitsproduktivität der Unternehmen (Bertschek und Niebel, 2016).

Für Beschäftigte kann technologische Mobilität mehr Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeit und des Arbeitsorts bedeuten, insbesondere wenn Arbeitsformen wie Home Office oder Vertrauensarbeitszeit, also eine eigenverantwortliche Arbeitszeitgestaltung, ermöglicht werden. Eine höhere Produktivität auf Unternehmensebene lässt sich im Dienstleistungssektor insbesondere dann nachweisen, wenn die Arbeit mit mobilen Technologien durch flexible Arbeitsformen begleitet wird (Viete und Erdsiek, forthcoming).

Automatisierte Unternehmen im Vorteil

Im verarbeitenden Gewerbe sind viele Unternehmen gezwungen, ihre Produktion zurückzufahren oder ganz einzustellen. Dort finden zahlreiche Tätigkeiten ortsgebunden statt und lassen sich nicht ins Home Office verlagern. Zudem kämpfen diese Branchen in erster Linie mit einem Nachfragerückgang oder –ausfall sowie mit Zulieferengpässen. Kurzarbeit ist oftmals die Waffe der Wahl, es sei denn Unternehmen sind in der Lage auf die Herstellung anderer Produkte wie Arbeitsschutzmittel umzustellen.

Gleichwohl gibt es im verarbeitenden Gewerbe Unternehmen, deren Produktion bereits hoch automatisiert abläuft und die jetzt davon profitieren, dass Menschen in erster Linie mit Maschinen arbeiten und nicht direkt mit Menschen, so dass es viel leichter fällt, die physische Distanz zu wahren. Zum Beispiel bei der Produktion von Autos verrichten Roboter einen Großteil der Aufgaben, in der Lagerlogistik unterstützen sie beim Kommissionieren von Waren. Ziehen Nachfrage und Zulieferproduktion wieder an, ist in diesen Bereichen ein Hochfahren der Produktionskapazitäten relativ problemlos möglich.

Aufholbedarf in Deutschland

Stark von der Corona-Krise betroffen sind die konsumnahen Dienstleister wie Gastronomen und Frisöre. Ihre Dienste entstehen hauptsächlich durch manuelle Tätigkeiten und durch die direkte Interaktion mit Kunden. Sie gehören zu den großen Verlierern der Corona-Krise, wenn ihre Geschäftsgrundlage wegbricht. Doch auch hier kann Digitalisierung helfen. Wer jetzt online ist, hat den Vorteil auch in Krisenzeiten für Kundinnen und Kunden sichtbar zu bleiben. Der Kinobetreiber, der sein Kino während des Shutdowns zwar schließen musste, erleichtert mit dem Online-Vertrieb von Gutscheinen zumindest die Rückkehr nach dem Shutdown. Das Restaurant hält sich mit Online-Bestellungen über Wasser. Digital sichtbar zu bleiben muss nicht mit hohen Investitionskosten verbunden sein. Social Media sowie bestehende digitale Plattformen können ohne hohe Kosten von kleinen Unternehmen und Soloselbständigen genutzt werden, um mit Kundinnen und Kunden in Kontakt zu bleiben und um nach dem Shutdown eine Chance zu haben, die Geschäftstätigkeit wieder aufzunehmen oder hochzufahren.

Wie in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist auch bei der derzeitigen Krise zu erwarten, dass hoch digitalisierte Unternehmen diese besser überstehen werden als wenig digitalisierte. Unternehmen tun also gut daran, digital aufzurüsten. Die Corona-Krise verdeutlicht den bestehenden Aufholbedarf in Deutschland und erzwingt manch längst überfälligen Schritt zu digitalisieren. Zu hoffen ist, dass die Wirtschaft nach der Corona-Krise insgesamt digital besser aufgestellt sein wird als vor der Krise und dass sich dies in der gesamtwirtschaftlichen Produktivität niederschlagen wird.

Literatur

Bartelsman, Eric, Eva Hagsten und Michael Polder (2018), Micro Moments Database for Cross-Country Analysis of ICT, Innovation, and Economic Outcomes, Journal of Economics & Management Strategy 27 (3): 626–648.

Bertschek, Irene, Michael Polder und Patrick Schulte (2019), ICT and Resilience in Times of Crisis: Evidence from Cross-Country Micro Moments Data, Economics of Innovation and New Technology 28 (8), 759-774.

Bertschek, Irene und Thomas Niebel (2016), Mobile and More Productive? Firm-Level Evidence on the Productivity Effects of Mobile Internet Use, Telecommunications Policy 40 (9), September 2016, 888-898.

Viete, Steffen und Daniel Erdsiek (forthcoming), Mobile Information Technologies and Firm Performance: The Role of Employee Autonomy, Information Economics and Policy.



Kommentar verfassen