WIRtschaften 2040: Zeit zum Weichenstellen

Claudia WiggenbrökerFreie Wirtschaftsjournalistin

Das Coronavirus bestimmt derzeit das Handeln von Politik und Wirtschaft. Jetzt ist die Zeit, um Weichen für die Zukunft zu stellen, meinen Verantwortungsträger:innen aus ganz Deutschland. Sie haben im Rahmen eines Online-Events der Bertelsmann Stiftung über das Projekt WIRtschaften2040 diskutiert, welche Stellschrauben heute wichtig sind.

Gerade in einer Krise wie der jetzigen ist es wichtig, über die aktuelle Lage hinaus zu schauen. Denn Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich mitten in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel, der schon vor der Pandemie begonnen hat und auch nach ihr weiter gehen wird.

Grundlegende Zukunftsfaktoren und langfristige Trends wie die Digitalisierung, die Folgen unseres überbordenden Ressourcenverbrauchs oder die voranschreitende Globalisierung dürfen nicht aus dem Blick geraten. Richtung und Geschwindigkeit dieser Trends entscheiden darüber, wie die deutsche Volkswirtschaft in den kommenden Dekaden strukturiert sein wird und in welchem Ausmaß gesellschaftlicher Wohlstand und Teilhabe möglich sein werden.

Weichenstellung durch die Krise?

Wie werden sich die Strukturen des Wirtschaftsstandortes Deutschland verändern? Wovon werden wir in 20 Jahre leben? Wer gewinnt durch diese Veränderungen, wer bleibt zurück? Welche Weichen sollten jetzt gestellt werden?

Diese Fragen haben Verantwortungsträger:innen aus ganz Deutschland beschäftigt. Im Rahmen des Projekts „WIRtschaften 2040“ der Bertelsmann Stiftung haben sie sechs Szenarien für ein Deutschland in 20 Jahren entwickelt – unterstützt vom IW Köln, dem IMK der Hans-Böckler-Stiftung und Fraunhofer ISI. Bereits vor eineinhalb Jahren hat die Gruppe mit ihrer Arbeit begonnen – als von der Coronakrise noch keine Rede war. „Aber das Virus hat unsere Arbeit nicht überholt“, betont Diskussionsmoderator Rana Deep Islam. „Wir haben disruptive Elemente von Anfang an mitgedacht.“

Die Ergebnisse des Workshops seien daher an Aktualität nicht zu überbieten. Diese haben die Teilnehmer:innen bei einem digitalen Event Mitte der Woche vorgestellt und mit den Zuhörern diskutiert.

„Innovation für eine bessere Welt“ vs. „Von außen getrieben“

Projektteilnehmerin Jenny Simon stellt zwei Szenarien für Deutschlands digitale Zukunft vor: Gelingt uns der Weg in eine soziale Datenökonomie, die auf Wettbewerb und gesellschaftlicher Mitbestimmung basiert? Oder werden wir uns 2040 in einem digitalen Negativ-Szenario befinden, in dem die USA und China die Regeln für die digitale Welt diktieren?

„Es drängt sich das Gefühl auf, dass wir in Deutschland die Weichenstellungen nicht so gut legen wie andere“, sagt Diskussionsmoderatorin Maja Branković. Sandra Detzer, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, stimmt zu: Wir wären in puncto Dateninfrastruktur nicht gut genug. „Europa ist nicht gut genug – und Deutschland schon gar nicht.“

Und selbst mit einer exzellenten Infrastruktur sei es nicht getan. So müsse die Digitalisierung in der Bildung neu gedacht werden: Es reiche nicht aus, allein Hardware bereit zu stellen. „Wir brauchen mündige Nutzer.“ In Baden-Württemberg steht Medienbildung daher auf dem Lehrplan, sagt Detzer: „Wie erkenne ich Fake News? Wie bilde ich mir eine Meinung, auch wenn ich keine Zeitung lese oder öffentlich-rechtliche Sender gucke?“

Jakob Edler vom Fraunhofer ISI ist indes „positiver Dinge“ – sogar in diesen besonderen Zeiten. Denn die Coronakrise kann „uns lehren, wie radikal wir denken dürfen, um unsere eigene Zukunft zu bestimmen.“ Das sieht Start-up-Gründerin Nicole Büttner ähnlich. Das Virus habe gezeigt, wie „schnell plötzlich alles gehen kann“. Beispielsweise seien Hackathons organisiert worden, um zu überlegen, wie Künstliche Intelligenz durch die Krise helfen könne. „Was Geschwindigkeit angeht, sind wir viel besser, als wir dachten“, stellt Büttner fest.

Sie betont, dass die deutsche Forschung gerade in puncto KI stark sei. Allerdings müsse man die Top-Wissenschaft besser mit dem Top-Unternehmertum zusammenzubringen. „Aus Forschung müssen Produkte entstehen können, die Nutzen stiften.“ Bislang würden dafür allerdings die Ökosysteme zwischen Wissenschaft und Kapital fehlen. Und auch das Mindset, „dass es legitim ist, mit Forschung Geld zu verdienen“.

© Pia Bublies / www.piabublies.de

„Local Rules“ vs. „Klimakrise“

Tim Efing aus Berlin stellt die nächsten Szenarien vor. Sie drehen sich um die Frage, wie Deutschland dem Klimawandel begegnen sollte. Wird sich die Gesellschaft in einer örtlichen Kreislaufwirtschaft organisieren, in welcher Produktion mittels 3D-Druck erfolgt? Oder werden wir 2040 tief in einer Klimakrise stecken, die zu einem Zerfall von Europa führt? Efing und seine Mitstreiter:innen haben in ihren Workshops einen besonderen Knackpunkt festgestellt: „Es mangelt nicht an Zielen – sondern an der Operationalisierbarkeit.“

Michael Hüther, Direktor des IW Köln, stellt an dieser Stelle klar: „Wir müssen als Gesellschaft bereit sein, den Unternehmen Unterstützung zu geben.“ Man müsse investieren, so vor allem aber auch die kommunale Verwaltungsinfrastruktur so ausrüsten, dass Investitionen auch wirksam werden. Hüther betont, dass es besonders wichtig sei, die zukünftige Energieproduktion zu sichern – beispielsweise mittels Wasserstoff-Technologie.

„Wir wissen noch nicht, wo Wasserstoff Sinn macht“, wirft Grünen-Politikerin Sandra Detzer ein. Aber auch sie betont, „dass wir Transformationshilfen brauchen“. Man dürfe allerdings nicht den Fehler machen, „alte“ Arbeitsplätze zu finanzieren. IMK-Direktor Sebastian Dullien warnt: Diese Industrien dürften dennoch „nicht einfach zugemacht werden“. Arbeitsplätze, gerade von Nicht-Akademikern, müssen mit in die Zukunft genommen werden. Auch, wenn die „planetaren Grenzen nicht verhandelbar“ sind. Ein schwieriger Spagat.

Dullien betont, dass man vor allem besser darin werden müsse, in strukturschwachen Regionen eine wirtschaftliche Struktur aufzubauen. „Da sind wir wirklich schlecht drin, auch wir Ökonomen.“ Es gäbe Möglichkeiten – wenn man kreativ ist und bereit, Geld in die Hand zu nehmen.

© Pia Bublies / www.piabublies.de

„Vereinigte Staaten von Europa“ vs. „Träges Deutschland, träge Welt“

Wird es 2040 mehr Europa geben? Felix Lee stellt das Szenario der Vereinigten Staaten von Europa vor. Eine gemeinsame Fiskal- und Sozialpolitik eint die Länder; der Subkontinent ist geprägt von verschiedenen Hightech-Regionen, die jeweils einzigartig und doch aufeinander abgestimmt sind.

Oder werden wir doch im trägen Negativ-Szenario leben, das durch die „Germany first“-Politik im Jahr 2020 geebnet wurde? In dem die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land, zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern noch weiter auseinandergegangen ist?

„Wir sollten einen Werte-Kern für Europa definieren“, schlägt Jakob Edler vom Fraunhofer ISI vor. Bei den Themen Infrastruktur, Energiewende, zukünftige Afrikapolitik müsse man integrativer werden. Aber: „Ich warne davor, den Diskurs normativ zu überfrachten.“ Auch Edler würde sich das Positiv-Szenario wünschen. „Wir können aber nicht negieren, dass wir diverse Kulturen haben und sind.“ Daher wäre die Frage eher: Was wollen wir von Europa?

Start-up-Gründerin Nicole Büttner hätte da einen Punkt: dass der Zugang zum europäischen Binnenmarkt leichter für junge Unternehmen gemacht wird. Zudem müsse man überlegen, wie man innerhalb von Europa mit dem Thema Datenschutz umgehen wolle.

Büttner kommt dann zu einem Punkt, der bereits im ersten Szenario diskutiert wurde: die digitale Infrastruktur. „Es gibt anscheinend Geld für digitale Infrastruktur“, stellt sie fest. Und das Wissen, wie man diese aufbauen kann. Die Gründerin fordert daher: „Dann macht es doch einfach!“



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