Wohlstand für alle innerhalb planetarer Grenzen – Wie transformieren wir die Soziale Marktwirtschaft?

Sara HolzmannBertelsmann Stiftung

Dr. Marcus WortmannBertelsmann Stiftung

Die Eindämmung der Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Sie erfordert die Transformation hin zu einer Wirtschaftsweise, die Wohlstand für alle innerhalb der planetaren Grenzen und damit auch für künftige Generationen ermöglichen kann. Unser aktuelles Wirtschaften gefährdet und zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen, ohne die es selbst nicht dauerhaft funktionieren kann.

Doch kann ein derart umfassender Umbau unserer Ökonomie zu einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft gelingen, ohne dass Wertschöpfung, Beschäftigung und das bereits erreichte Level an materiellem Wohlstand verloren gehen? Wie kann Klimaschutz so funktionieren, dass die wirtschaftlichen Potenziale bestmöglich gehoben und Kosten gerecht verteilt werden? Wie verhindern wir, dass Inflation und Verschuldung derweil ausufern?

Diese Fragen geben gerade vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Konflikte Anlass, über die wirtschaftspolitischen Ziele und Zielkonflikte einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft neu nachzudenken.

Buchveröffentlichung und Online-Event

Anstelle des Stabilitätsgesetzes aus den 1960er Jahren braucht es ein zeitgemäßes und praxistaugliches wirtschaftspolitisches Zielsystem. Besonders die inhärenten makroökonomischen Wirkungszusammenhänge zwischen den verschiedenen Zielparametern müssen umfassend analysiert und besser verstanden werden, um eine kluge wirtschaftspolitische Steuerung der Transformation zu ermöglichen.

In unserem heute erscheinenden Buch unternehmen wir den Versuch, genau diese ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen den Zielen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft systematisch darzulegen. Aufbauend auf dem Magischen Viereck entwickeln wir dazu zunächst ein neues Zielsystem der deutschen Wirtschaftspolitik bestehend aus sieben Dimensionen.

Vom zentralen Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ausgehend, nehmen wir die theoretischen und empirischen Zielzusammenhänge mit den anderen sechs Zielen in den Blick und beleuchten schließlich politische Handlungsoptionen für den Übergang zu einer Wirtschaftsweise, die das Versprechen einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft Wohlstand für alle innerhalb der planetaren Grenzen einlösen kann.

Anlässlich der Buchveröffentlichung veranstalten wir im Rahmen der Frankfurter Buchmesse ein Online-Event via Zoom. Dabei sollen die zentralen Inhalte und Ableitungen unseres neuen Buches u.a. mit Prof. Maja Göpel und Prof. Michael Hüther diskutiert werden. Die Veranstaltung findet am 20. Oktober 2022 um 16:30 Uhr statt. Hier geht’s zur Anmeldung.

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Ein Update des wirtschaftspolitischen Zielsystems

Im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft war das „Magische Viereck“ jahrzehntelang handlungsleitend für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Es umfasst die vier gleichrangigen Zielparameter des Stabilitätsgesetzes von 1967: „stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum“, „stabiles Preisniveau“, „hoher Beschäftigungsstand“ und „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“. Diese Staatsziele sind natürlich für sich genommen nicht obsolet geworden, doch erscheint aus heutiger Perspektive eine Ergänzung, Neubewertung und Umgewichtung aus vielerlei Gründen unausweichlich.

Allem voran rücken die sich zuspitzende Klimakrise und die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen die ökologische Nachhaltigkeit und insbesondere die Klimaneutralität richtigerweise ins Zentrum eines zukunftsfähigen Zielsystems. Denn der Erhalt und die Funktionsfähigkeit der Ökosysteme sind die grundlegende Voraussetzung für Lebensqualität und (materiellen) Wohlstand zukünftiger Generationen. Im aktuellen Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob die durchschnittliche globale Erderwärmung noch auf 1,5°C begrenzt werden kann.

Aus diesem Grund sollte auch nicht mehr das Wirtschaftswachstum an und für sich als Staatsziel verfolgt werden. Vielmehr muss es künftig darum gehen, dasjenige höchste Maß an materiellem Wohlstand anzustreben, das kompatibel mit den planetaren Belastungsgrenzen ist. Ob im Rahmen eines solchen “nachhaltigen Wohlstands für alle” noch eine weitere Ausdehnung der Ausstattung mit Gütern und Dienstleistungen möglich ist, hängt von Tempo und Grad der Entkopplung zwischen wirtschaftlicher Wertschöpfung und der Emission von Treibhausgasen sowie dem Ressourcenverbrauch ab.

Um eine solche Entkopplung und ein klimaneutrales Wirtschaften zu erreichen, bedarf es einer gerechten Lastenverteilung auf Basis gesamtgesellschaftlicher Zustimmung. Aus diesem Grund muss auch eine faire Verteilung des (materiellen) Wohlstands zentraler Bestandteil eines zeitgemäßen Zielsystems sein. Während die soziale Frage der ökologischen Transformation zunehmend in den Vordergrund tritt, hat sich derweil auch das Verständnis eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts gewandelt.

Gerade im Kontext der Corona-Pandemie und des Kriegs gegen die Ukraine zeigt sich immer klarer, dass bei den Außenhandelsbeziehungen nicht nur ein saldenmechanisches Gleichgewicht von Ex- und Importen anzustreben ist, sondern auch geopolitische Risiken und kritische Abhängigkeiten zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt müssen angesichts der enormen Finanzierungsbedarfe zur Erreichung zentraler Transformationsziele auch tragfähige Staatsfinanzen als eine elementare Zieldimension Berücksichtigung finden.

In unserem Buch konzentrieren wir uns auf die Spannungsfelder und makroökonomischen Wechselwirkungen zwischen dem Erreichen ökologischer Nachhaltigkeit und den anderen wirtschaftspolitischen Zielen. Es ergeben sich die folgenden sechs (potenziellen) Zielkonflikte einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft (siehe Abbildung).

Ressourcenverbrauch und Wohlstand entkoppeln

Der naheliegendste vermeintliche Zielkonflikt ist der zwischen materiellem Wohlstand und der ökologischen Nachhaltigkeit seiner Erzeugung. Heute basieren Produktionsweisen, Wertschöpfungsketten, Technologien und Infrastrukturen zum überwiegenden Teil auf dem Verbrauch von natürlichen Ressourcen, auf der Nutzung fossiler Energieträger und damit auf dem Ausstoß von Treibhausgasen. Zwar ist es den meisten entwickelten Volkswirtschaften gelungen, Emissionsvolumen und Wirtschaftsleistung wenigstens zu einem gewissen Grad zu entkoppeln, doch zum Erreichen der Klimaneutralität sind weitere deutliche Emissionsminderungen erforderlich. Der Übergang in eine ressourceneffiziente und umweltschonende Kreislaufwirtschaft kann an dieser Stelle dazu beitragen, diesen Zielkonflikt aufzulösen und Wohlstand unter Einhaltung der planetaren Grenzen zu sichern.

Sektorale und regionale Beschäftigungsverluste abmildern

Auf dem Arbeitsmarkt löst die ökologische Transformation einen umfassenden Strukturwandel aus. Dabei werden bestehende Berufsfelder umgestaltet, Arbeitsplätze teilweise abgebaut und an anderen Stellen neue geschaffen. Gesamtwirtschaftlich wird dieser Strukturwandel wohl zu Beschäftigungswachstum führen, doch sektoral und regional drohen Arbeitsplatzverluste und Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig kann der Fachkräftemangel zu einer entscheidenden Barriere für die ökologische Transformation werden. Um einem potenziellen Zielkonflikt zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und hohem Beschäftigungsniveau vorzubeugen, sind Qualifizierung, Fachkräftesicherung und die Unterstützung von räumlicher und beruflicher Mobilität zentrale Strategien.

Fossile Inflation durch günstige klimaneutrale Alternativen kompensieren

Die aktuell hohe Inflation und insbesondere Preisanstiege für Energie und Nahrungsmittel stellen eine enorme Belastung für viele Haushalte und Unternehmen dar. Der Krieg gegen die Ukraine, Angebotsknappheiten, Engpässe und Lieferkettenprobleme sind starke Inflationstreiber. Gleichzeitig ist eine Preissteigerung für CO2-intensive Aktivitäten und fossile Energieträger aus klimapolitischer Sicht notwendig. Sie wird durch die CO2-Bepreisung gezielt herbeigeführt. Entsprechend gilt es, die fossile Inflation während der Transformationsphase sozial gerecht abzufedern, denn sie belastet einkommensschwache Haushalte überdurchschnittlich stark. Ein Schlüssel zur Lösung dieses vermeintlichen Zielkonflikts liegt in der Bereitstellung klimafreundlicher Alternativen, also im beschleunigten Ausbau der preisgünstigeren erneuerbaren Energien.

Kritische Importabhängigkeiten vermeiden

Die nationalen Bemühungen zur Umsetzung der ökologischen Transformation stehen in Wechselwirkung mit den außenwirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands. Ambitionierte nationale Klimapolitik kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte schwächen. Zum Schutz vor Carbon Leakage ist die außenwirtschaftliche Flankierung der nationalen Klimapolitik, etwa durch einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus, eine zentrale Strategie. Vor dem Hintergrund geopolitischer Krisen und internationaler Lieferkettenverwerfungen ist gleichzeitig eine größere Unabhängigkeit und Resilienz der deutschen Wirtschaft anzustreben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Rohstoffe für Schlüsseltechnologien der Dekarbonisierung.

Klimapolitik sozialpolitisch flankieren

Viele klimapolitische Maßnahmen bedeuten für einkommensschwache Haushalte eine überdurchschnittliche finanzielle Belastung. Zunehmende ökonomische Ungleichheit kann die Vereinbarkeit von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit sowie die gesellschaftliche Akzeptanz der ökologischen Transformation gefährden. Daher sind Kompensationsmechanismen, wie die Rückverteilung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, wichtige Instrumente, um negative Verteilungswirkungen klimapolitischer Maßnahmen abzufedern.

Investitionen, Steuern und Subventionen auf Klimaneutralität ausrichten

Die ökologische Transformation bedeutet für die Privatwirtschaft und für die öffentlichen Haushalte einen enormen Investitionsbedarf. Gleichzeitig ist ein verzögerter Klimaschutz um ein Vielfaches teurer. Eine weitsichtige finanzpolitische Gestaltung der Transformation kann neue Wachstumspotenziale schaffen, Anreize für ressourceneffizientes und umweltschonendes Produzieren und Konsumieren setzen und auch die staatliche Handlungsfähigkeit sicherstellen. Durch den Rückbau klimaschädlicher Subventionen etwa lassen sich Fehlanreize abbauen und neue fiskalische Spielräume für die Finanzierung der Transformation erschließen.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Eine sozial-marktwirtschaftliche Wachstumstransformation von Tobias Vogel, Uni Witten/Herdecke

Zunehmende Knappheiten – die Rolle der Produktivität von Dr. Thieß Petersen, Bertelsmann Stiftung

Ressourceneffiziente Ökonomie und die richtigen Instrumente von Prof. Friedrich Thießen, Uni Chemnitz



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