Zunehmende Knappheiten – die Rolle der Produktivität

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung

Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von einem weltweit steigenden materiellen Wohlstand. Verantwortlich dafür waren unter anderem eine wachstumsförderliche globale Bevölkerungsentwicklung, die voranschreitende Globalisierung und billig verfügbare Rohstoffe.

Alle drei Rahmenbedingungen verändern sich nun in eine wachstumsdämpfende Richtung. Angesichts einer weiter steigenden Weltbevölkerung drohen zunehmende Knappheiten. Ein zentraler Hebel zur Bekämpfung der Knappheiten sind Produktivitätssteigerungen.

#1 Wachstumsfreundliche demografische Entwicklung

Eine Ursache für einen hohen materiellen Wohlstand ist ein hoher Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung. Daraus resultiert ein hohes Angebot an Arbeitskräften.

Wenn dem Arbeitsmarkt viele Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, ist der Preis für diesen Produktionsfaktor – also der Lohn – relativ gering. Unternehmen sind dann bereit, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen, was eine größere Menge an produzierten Gütern bedeutet.

Erwerbstätige Personen erzielen Arbeitseinkommen, von denen sie einen Teil sparen. Ihre Sparquote ist höher als die von Rentner:innen und erst recht von Kindern und Jugendlichen.

Wenn ein hoher Teil der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist, verfügt die Volkswirtschaft über eine hohe Sparquote – und hohe Ersparnisse ermöglichen hohe Investitionen. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitsplätze mit leistungsfähigen Maschinen und modernen Technologien ausgerüstet sind. Die Beschäftigten erzielen dann eine hohe Produktivität.

#2 Voranschreitende Globalisierung

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der grenzüberschreitende Güterhandel im Durchschnitt noch mit Zollsätzen in Höhe von 40 Prozent belastet. Zu Beginn der 1990er-Jahre waren es weniger als vier Prozent.

Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 integrierte die Volkswirtschaften Osteuropas in die internationale Arbeitsteilung. 2001 sorgte der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (World Trade Organization, kurz WTO) für eine zusätzliche Intensivierung der Globalisierung, da China so in die Weltwirtschaft eingebunden wurde.

Wenn sich alle Länder auf die Produktion der Waren und Dienstleistungen spezialisieren, bei denen sie Produktionsvorteile haben, kommt es in den beteiligten Ländern zu Spezialisierungsgewinnen – und damit steigt die weltweit zur Verfügung stehende Gütermenge.

#3 Niedriger Preis für Umweltressourcen

Ein dritter Treiber des wirtschaftlichen Wachstums der letzten Jahrzehnte war die Nutzung natürlicher Ressourcen zu einem Preis, der nicht alle Kosten widerspiegelt, die mit deren Verbrauch verbunden sind.

Der Einsatz fossiler Energien wie Erdöl, Erdgas und Kohle führt über Treibhausgasemissionen zur Erderwärmung und zum Klimawandel. Folgen sind unter anderem Schäden an Gebäuden und Infrastruktur durch Wetterextreme, gesundheitliche Beeinträchtigungen, ein Massensterben von Tier- und Pflanzenarten sowie sinkende Ernteerträge. Die daraus resultierenden ökonomischen Schäden sind nicht oder bestenfalls teilweise in den Marktpreisen enthalten.

Die fehlende Einpreisung der gesellschaftlichen Zusatzkosten führt zu einer Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Das ermöglicht zwar ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP), gemessen an den tatsächlichen Kosten ist dieses jedoch zu groß bzw. nicht nachhaltig. Es werden auch Produkte hergestellt, deren gesamtgesellschaftlicher Nutzen geringer ist als deren gesamtwirtschaftliche Kosten. 

Die drei skizzierten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich nun in eine wachstumsdämpfende Richtung.

Alterung und Wachstum der Weltbevölkerung

Seit 2015 geht der Anteil von Menschen im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung weltweit zurückgeht. Ein altersbedingter Arbeitskräftemangel bedeutet geringere Produktionsmöglichkeiten.

Die verfügbaren Einkommen derjenigen, die im Rentenalter sind, sind geringer als die der Erwerbstätigen. Das verringert die Sparmöglichkeiten von Rentner:innen. Somit kommt es zu einem Rückgang der Sparquote mit nachlassenden Investitionsmöglichkeiten. Das wirkt sich negativ auf den gesamtwirtschaftlichen Produktionsapparat und die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten aus.

Deglobalisierungstendenzen und geopolitische Konflikte

Die Spezialisierungsgewinne, die sich aus der voranschreitenden Globalisierung ergaben, werden durch protektionistische Maßnahmen wieder verringert. Seit dem Ausbruch der durch die Lehman-Pleite ausgelösten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 weiten sich Handelsbeschränkungen aus.

Die Coronapandemie führte dazu, dass internationale Lieferketten immer wieder unterbrochen wurden und der Handel zurückging. Sie gab auch dem weltweiten Protektionismus einen weiteren Schub. So setzen viele Staaten in der Pandemie Exportbeschränkungen für lebenswichtige Produkte in Kraft, um Versorgungsengpässe im eigenen Land zu verhindern.

Darüber hinaus ist zu befürchten, dass viele Volkswirtschaften in der Zukunft verstärkt handelspolitische Instrumente einsetzen, um damit ihre politischen Ziele zu erreichen. Mögliche Instrumente dafür sind neben Zöllen auch Sanktionen, Exportbeschränkungen, Exportverbote und vieles mehr.

Deglobalisierungsschub durch Ukrainekrieg

Der Ukrainekrieg dürfte einen zusätzlichen dauerhaften Deglobalisierungsschub nach sich ziehen. Es droht eine erneute Blockbildung – auf der einen Seite demokratische, marktwirtschaftlich organisierte Länder aus Europa, Amerika, Ozeanien und Asien und auf der anderen Seite autokratische Staaten (China, Russland und deren wichtigste Handelspartner). Zusätzlich könnte es noch einen Block mit Ländern wie z. B. Indien geben, die eine klare Zuordnung vermeiden.

Steigende CO2-Preise, Lieferkettenunterbrechungen und der Wunsch nach Autarkie bei essenziellen Produkten sprechen schließlich für ein verstärktes Reshoring, also die Rückverlagerung von Produktionsschritten aus weit entfernten Niedriglohnländern nach Deutschland bzw. Europa.

Klimawandel und Dekarbonisierung

Der Klimawandel dämpft die weltweite Produktion von Konsumgütern über mindestens drei Kanäle:

  • Erstens durch die Zerstörung von physischen Produktionsanlagen, Transportwegen und anderen wichtigen Infrastrukturanlagen.
  • Zweitens durch klimabedingte Ernteeinbußen und drittens durch den zunehmenden Wassermangel.
  • Letzterer betrifft die Trinkwasser-Knappheit, die landwirtschaftliche Produktion, Produktionsanlagen, die eine Wasserkühlung benötigen, und wasserintensive Produktionsverfahren.

Die zwingend erforderliche ökologische Transformation verlangt umfangreiche Investitionen, um eine klimaneutrale Produktions- und Transportinfrastruktur zu errichten. Das bindet dadurch produktive Maschinen und Arbeitskräfte, die nicht mehr für die Herstellung von Konsumgütern genutzt werden können.

Wirtschaftspolitische Handlungsoptionen

Die skizzierten wachstumsdämpfenden Effekte treffen auf eine wachsende Weltbevölkerung: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung zwischen 2019 und 2050 von rund 7,7 auf 9,7 Milliarden Menschen ansteigen. Das bedeutet eine höhere Nachfrage nach Konsumgütern.

Wenn es somit in vielen Bereichen zu einer steigenden Knappheit von Gütern kommt, drohen wachsende Verteilungskonflikte und soziale Spannungen – sowohl innerhalb einzelner Länder als auch zwischen Nationen.

Um dies zu vermeiden, sind wirtschaftspolitische Maßnahmen notwendig. Sie sollten in erster Linie die Knappheit durch eine umweltverträgliche Steigerung der zur Verfügung stehenden Gütermengen abbauen und zudem die Auswirkungen bestehender Knappheiten sozialpolitisch abfedern.

Um diese Aufgaben anzugehen, bieten sich vor allem fünf Handlungsfelder an. Von zentraler Bedeutung sind dabei Produktivitätssteigerungen:

  • Eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität etwa durch Bildungsmaßnahmen ermöglicht selbst bei einem geringeren Arbeitskräfteangebot eine Steigerung der zur Verfügung stehenden Konsumgütermengen. Eine Forcierung des arbeitssparenden technologischen Fortschritts hat den gleichen Effekt.
  • Ein emissionssparender technologischer Fortschritt erhöht die Ressourcenproduktivität und fördert so die ökologische Transformation – im Idealfall ist ein grünes Wachstum möglich, also eine Steigerung des realen BIP bei einer gleichzeitigen Verringerung der Treibhausgasemissionen.

Produktivitätssteigerungen verlangen neben einer Verbesserung des Bildungssystems eine Intensivierung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, höhere private und öffentliche Investitionen sowie den verstärkten Einsatz digitaler Technologien.

Alle diese Maßnahmen sollten umgehend ergriffen werden, denn noch sind die ökonomischen Rahmenbedingungen relativ günstig.

Je länger mit notwendigen Anpassungen gewartet wird, desto höher werden die ökonomischen und sozialen Kosten für die Gesellschaft.

Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf dem Megatrend-Report #04 der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel „Die Rückkehr der Knappheit – Wie globale Demografie, Deglobalisierung und Dekarbonisierung Verteilungskonflikte verschärfen“. Eine Kurzfassung des Reports finden Sie in diesem MegatrendBrief.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Neue Abhängigkeiten in einer klimaneutralen Weltwirtschaft: Was Deutschland dagegen tun kann von Dr. Michael Jakob, Ecologic Institute

Chancen und Grenzen der Ressourceneffizienz von Prof. Dr. Stefan Pauliuk, Uni Freiburg

Die Grenzen sind zurück von Prof. Dr. Michael Roos, Ruhr-Universität-Bochum



Kommentar verfassen